IAQ Pressemitteilung
Die schnelle Öffnung der Schulen für Abschlussklassen hat den Blick auf eine Schulform gelenkt, die sonst oft wenig Aufmerksamkeit erfährt – die Berufskollegs, die in Nordrhein-Westfalen eine Vielfalt an Bildungsgängen anbieten. Wenn sie nun für die Abschlussklassen öffnen, betrifft dies pro Schule oft mehrere Hundert Jugendliche; große Berufskollegs müssen sogar vierstellige Zahlen bewältigen. Dies liegt daran, dass die meisten Bildungsgänge der Berufskollegs ein, zwei oder drei Jahre dauern. Der Anteil an Schüler*innen in Abschlussklassen ist damit immer um ein Mehrfaches höher als an allgemeinbildenden Schulen. Prof. Sybille Stöbe-Blossey vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) hat einen Blick in die Schulstatistik geworfen, um die hohen Zahlen zu erklären, und weist auf die Leistungen und Potenziale der Berufskollegs für den Ausgleich von Bildungsbenachteiligung hin.
Im Schuljahr 2017/18 gab es an nordrhein-westfälischen Berufskollegs knapp 548.000 Schüler*innen – gut 252.000, also knapp 46 % davon, haben das Berufskolleg im Sommer 2018 verlassen. Zum Vergleich: An den Gymnasien gab es zu dem Zeitpunkt gut 59.000 Abiturient*innen; knapp 41.000 Schüler*innen haben mit unterschiedlichen Abschlüssen die Realschulen beendet und gut 19.000 die Hauptschulen; an Gesamt-, Sekundar- und Gemeinschaftsschulen waren gut 45.000 Abgänge zu verzeichnen, darunter fast 14.000 Abiturient*innen. An den Berufskollegs gibt es also in jedem Jahr mehr Abgänger*innen als an allen diesen allgemeinbildenden Schulformen zusammen. Die Abgänger*innen verteilen sich auf die unterschiedlichsten Bildungsgänge – von der Ausbildungsvorbereitung über anerkannte Berufsausbildungen in verschiedenen Fachrichtungen bis hin zum beruflichen Gymnasium. Jugendliche können dort alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse erwerben und dies mit einer Ausbildung oder mit beruflichen Kenntnissen in einem bestimmten Feld kombinieren.
Ein knappes Drittel der Abgänger*innen der Berufskollegs sind Auszubildende im dualen System, die in den Fachklassen des Berufskollegs ihre Berufsschulpflicht erfüllt haben. Gut 5.000 davon haben gleichzeitig mit dem Berufsabschluss ihren Schulabschluss verbessert und den Hauptschulabschluss nachgeholt, einen mittleren Schulabschluss erhalten oder sogar die Fachhochschulreife erreicht. Berufskollegs leisten also einen erheblichen Beitrag zur Versorgung der Wirtschaft mit Fachkräftenachwuchs. Zu den Fachklassen des dualen Systems kommen vollzeitschulische Ausbildungen mit fast 21.000 Absolvent*innen, zum Beispiel als Erzieher*innen oder in verschiedenen technischen Assistenzberufen, auch hier zum Teil verbunden mit einem weiteren Schulabschluss.
Einen allgemeinbildenden Schulabschluss haben 2018 insgesamt fast 80.000 Schüler*innen erworben. Knapp 31.000 dieser Schüler*innen haben auf diese Weise die Fachhochschulreife und damit die Berechtigung erhalten, ein zukunftsweisendes Studium im Bereich der angewandten Wissenschaften aufzunehmen – viele zukünftige Ingenieur*innen gehen diesen Weg, und auch ein duales Studium ist eine interessante Anschlussperspektive.
Und nicht zuletzt haben im Jahr 2018 8.531 junge Menschen im Berufskolleg ihren Hauptschulabschluss nach Klasse 9 nachgeholt. Damit liegt diese Zahl an Berufskollegs höher als an allen allgemeinbildenden Schulen einschließlich der Förderschulen zusammen (8.162) – und mehr als zweieinhalbmal so hoch wie bspw. im Jahr 2014 (3.136). Dieser Anstieg ist zum einen durch 1.081 Abschlüsse in Internationalen Förderklassen bedingt: Berufskollegs legen mit diesen Klassen Grundlagen für die Integration von neu zugewanderten Jugendlichen. Zum anderen zeigt sich, dass mit dem Rückgang der Zahl der Hauptschulen eine steigende Anzahl an Jugendlichen einhergeht, die die Real- oder auch die Gesamtschulen ohne Abschluss verlassen und dann am Berufskolleg ihren Abschluss nachholen. Einen Anstieg gibt es auch bei der Anzahl der Jugendlichen, die die Real- und Gesamtschulen mit dem Hauptschulabschluss beenden. Auch diese Schüler*innen nutzen oft die Chance, am Berufskolleg einen mittleren Schulabschluss zu erwerben.
„Berufskollegs sind also ein Ort des Bildungsaufstiegs – und ein Ort der nachholenden Bildung“, fasst Sybille Stöbe-Blossey zusammen und fordert: „Die Rolle der Berufskollegs für den Ausgleich von Bildungsbenachteiligung ist kaum zu überschätzen und sollte in Bildungspolitik und Bildungsforschung viel mehr beachtet werden – weit über die aktuelle Krise hinaus.“