Informationen zum Forschungsprojekt

Arbeitszeiten im Verlagswesen-Was ist aus der 35-Stunden-Woche geworden?



Ziel und Aufgabenstellung

Im Auftrag der Tarifabteilung von ver.di wurden die Entwicklungstrends derArbeitszeiten und der Arbeitszeitregulierung im deutschen Verlagswesen, genauerbei den Zeitungsverlagen, untersucht. Die Zeitungsverlage bilden mit den anderenUnterbranchen der Verlags- und Druckindustrie die einzige Branche, die im Organisationsbereichder Gewerkschaft die 35-Stunden-Woche eingeführt hatte, und sie nehmendeshalb eine arbeitszeitpolitische Vorreiterrolle in der Gewerkschaft ein. Inder sozialwissenschaftlichen Debatte werden die Erosionsgefahren betont, diesich aus Entwicklungen wie der Verbetrieblichung der Regulierungsebenen undder Flexibilisierung der Arbeitszeit für die normative Prägekraftkollektivvertraglicher Arbeitszeitregulierungen ergeben. Daraus erklärtsich das besondere Interesse der Gewerkschaft zu erfahren, wie es um die praktischeWirksamkeit der Arbeitszeitverkürzung und der kollektivvertraglichen Arbeitszeitregulierunginsgesamt in den Betrieben bestellt ist. Zur Beantwortung dieser Frage wurdeerforscht, wie hoch die Tarifbindung der Unternehmen ist, wie sich die vertraglichenund die tatsächlichen Arbeitszeiten entwickelt haben und in welchem Ausmaßund in welchen Formen Arbeitszeiten betrieblich variabilisiert werden.

Vorgehen

Das Projekt stützte sich auf drei methodische Pfeiler. Der erste Pfeilerwar die Durchführung und Auswertung einer schriftlichen Befragung der Betriebsräte(in allen Unternehmen der Branche mit Betriebsräten) mit Hilfe eines Fragebogenszu den Themenbereichen vertragliche Arbeitszeiten, tatsächliche Arbeitszeitenund betriebliche Organisation der Arbeitszeiten. Den zweiten Pfeiler bildetedie Auswertung von Tarif- und Betriebsvereinbarungen und anderen Materialienzu Arbeitszeiten in Zeitungsverlagen. Drittens schließlich wurden weiterführendeFragen und Problemlagen in Interviews mit ausgewählten Betriebsrätender Branche ausgelotet.

Ergebnisse

Unsere Analyse kann für weite Teile der Branche Entwarnung geben. Fürdas Gros der Beschäftigten hat eine Erosion der Arbeitszeitregulierungnicht stattgefunden. In den Druckereien und in den klassischen Verlagsbereichender Anzeigenabteilungen und des Vertriebs prägt die 35-Stunden-Woche nachwie vor die Entwicklung der vertraglichen und der tatsächlichen Arbeitszeiten.Auch eine Auflösung der normativen Bindekraft der Arbeitszeitregulierungdurch Verbetrieblichung oder Flexibilisierung ist nicht zu verzeichnen. Im Gegenteil,dort wo es in den Unternehmen flexible Regulierungen gibt, haben die Betriebsrätestarke Mitbestimmungsmöglichkeiten, die sie auch im Sinne der Einhaltungder Arbeitszeitnormen nutzen. Allerdings sind bei den flexiblen RegulierungenHaltegriffe für individuelles Beteiligungshandeln der Beschäftigtennur gering ausgeprägt. Dieser Befund deckt sich mit der ebenfalls festzustellendenkonventionellen Arbeitspolitik in den Unternehmen, die noch stark auf die Steuerungswirkungender Hierarchie abzielt.

Bei der Verarbeitung der Zeitungskrise in den Unternehmen haben sich aber nachhaltigeVeränderungen vollzogen, deren zentrale Merkmale ein rigoroser Personalabbauund die Konfrontation der Beschäftigten mit Marktrisiken sind. Beide Merkmalelösen einen Druck zur Intensivierung der Arbeit und zur Ausdehnung derArbeitszeiten aus. Zwar konnte in den beiden angesprochenen Bereichen die kollektivvertraglicheArbeitszeitregulierung diesen Druck auffangen. Aber in einem dritten wichtigenBereich der Zeitungsverlage, den Redaktionen, gelang dies nicht. Dort habensich nicht nur vertragliche und tatsächliche Arbeitszeiten weitgehend entkoppelt,auch ist durch Verfall von Arbeitszeit eine breite Grauzone der Arbeitszeitregulierungentstanden. Zum einen zeichnen sich diese Bereiche hoch qualifizierter Arbeittraditionell durch längere Arbeitszeiten aus, begründet durch diehohe intrinsische Motivation der Redakteure. Zum anderen aber haben sich langeArbeitszeiten in der Auseinandersetzung mit Personalabbau und Marktrisiken fürdie Redakteure zu einem Sachzwang verdichtet. Dies war nicht zuletzt deshalbder Fall, weil in den Redaktionen zumeist gar keine betrieblichen Regulierungenzur Bearbeitung steigenden Zeitdrucks existieren. Damit ist die Verbetrieblichungder Arbeitszeitregulierung in diesem Bereich weniger ein Teil des Problems alsvielmehr ein wichtiger Schritt zu seiner Lösung.

Publikationen zum Projekt

Haipeter, Thomas, 2004: Zwischen den Zonen der Stabilität und Entkoppelung: Arbeitszeiten und Arbeitszeitregulierung bei den Zeitungsverlagen. In: Frank Bsirske, Margret Möning-Raane, Gabriele Sterkel und Jörg Wiedemuth: Es ist Zeit: das Logbuch für die ver.di-Arbeitszeitinitiative, S. 110–154

Projektdaten

Laufzeit des Projektes
02.05.2003 - 31.05.2004

Forschungsabteilung

Leitung:
Prof. Dr. Thomas Haipeter

Finanzierung:
ver.di Bundesverwaltung, Berlin