Informationen zum Forschungsprojekt

Lohnstandards im Bauhauptgewerbe. Erfahrungen mit Mindestlöhnen und Tariftreue

Ziel und Aufgabenstellung

Angesichts der rückläufigen Tarifbindung und des wachsenden Niedriglohnsektors in Deutschland wird intensiv diskutiert, ob das deutsche Tarifsystem durch verbindliche Mindeststandards zur Entlohnung ergänzt werden sollte. Eine weitere wichtige Frage besteht darin, wie die Einhaltung von solchen Mindeststandards durchgesetzt und kontrolliert werden kann. In diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen im Bauhauptgewerbe von besonderem Interesse, weil es sich um eine der wenigen Branchen handelt, in denen in Deutschland bereits verbindliche Lohnuntergrenzen existieren. Hier wurden bereits 1997 allgemeinverbindliche Mindestlöhne eingeführt, die über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch für ausländische Unternehmen gelten. Am Beispiel dieser Branche wurde untersucht, inwieweit Abweichungen der tatsächlichen Löhne von den tariflichen Ansprüchen und gesetzlichen Mindeststandards erkennbar sind und durch welche Faktoren deren Einhaltung bzw. Umgehung beeinflusst wird.

Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Projekt zielte also darauf ab, die Wirksamkeit von tariflichen, allgemeinverbindlichen und gesetzlichen Lohnstandards im Bauhauptgewerbe zu analysieren: Inwieweit führt der zunehmende Wettbewerbs- und Kostendruck dazu, dass solche Standards unterlaufen werden – sei es durch einen Ausstieg aus der Tarifbindung, durch tarifliche Öffnungsklauseln oder durch faktisches Unterlaufen tariflicher Standards in der Praxis? Welche Rolle spielen betriebliche Interessenvertretungen, staatliche Kontrollen und weitere Regelungen bei der Durchsetzung von Standards? Dabei wurde nicht nur eine differenzierte Bestandsaufnahme für Deutschland vorgenommen, sondern auch der Frage nachgegangen, wie Mindeststandards und Tariftreue im Baugewerbe in drei europäischen Nachbarländern durchgesetzt und flankiert werden.

Vorgehen

Im Rahmen des Projektes wurden quantitative und qualitative Methoden eingesetzt. Ein wichtiger Bestandteil war eine Befragung von jeweils 500 gewerblichen Beschäftigten im Bauhauptgewerbe in Ost- und Westdeutschland zu ihrer tatsächlichen Entlohnung, die im Unterauftrag von TNS Infratest durchgeführt wurde. Zur Entwicklung der Entlohnung im Baugewerbe seit 1997 wurden ergänzend vorliegende Statistiken und geeignete Datensätze ausgewertet. Darüber hinaus wurden Expertengespräche mit Akteuren im Bauhauptgewerbe und in weiteren Branchen (Elektrohandwerk und Gebäudereinigung) durchgeführt, in denen ebenfalls branchenbezogene Mindestlöhne gelten. Die Regelungen und flankierenden Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung von Mindest- und Tariflöhnen im Baugewerbe in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden wurden auf der Basis von Literaturstudien sowie Expertengesprächen in diesen Ländern aufgearbeitet.

Ausgewählte Ergebnisse

Insgesamt wurde eine deutliche Diskrepanz zwischen den tariflichen Regelungen zur Entlohnung und der tatsächlichen Entlohnung im Bauhauptgewerbe festgestellt. Das Spektrum reichte von falschen Eingruppierungen, deren Ausmaß sich auf Basis der Befragungsergebnisse aber nicht präzise abschätzen ließ, über untertarifliche Entlohnung bis hin zu – allerdings eher seltenen – Unterschreitungen der unteren Mindestlöhne. Besonders häufig wurden weitere branchenspezifische Vergütungsbestandteile wie z.B. Auslöse und Verpflegungsgeld nicht oder nur teilweise gewährt. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, dass diese Ansprüche für die Beschäftigten weniger transparent sind als tarifliche Stundenlöhne. Wann Anspruch auf weitere Leistungen besteht und in welcher genauen Höhe, wissen die Beschäftigten offenbar häufig nicht genau und können somit nicht beurteilen, ob sie korrekt entlohnt werden. Oder sie akzeptieren solche Abweichungen, weil der Arbeitgeber mehr oder weniger glaubhaft macht, dass er diese nicht korrekt zahlen kann.

Jenseits der Frage von Tarifabweichungen haben sich in der Befragung auffällige Unterschiede der Entlohnung zwischen Ost- und Westdeutschland gezeigt: Fast drei Viertel der Befragten in Ostdeutschland erhalten nur den Mindestlohn oder einen Stundenlohn, der unterhalb der nächsthöheren Tariflohngruppe liegt. In Westdeutschland werden hingegen zwei Drittel der Befragten auf der Basis einer höheren Tariflohngruppe bezahlt. In Ostdeutschland ist der Mindestlohn also inzwischen weitgehend zum gängigen „Marktlohn” geworden, während er in Westdeutschland nur einen relativ kleinen Teil der Beschäftigten betrifft. Dass Unterschreitungen der unteren Mindestlohnstufe nur selten auftreten, spricht dafür, dass der Mindestlohn eine wirksame Untergrenze darstellt, die von den Arbeitgebern nur selten durchbrochen wird. Allerdings sind Beschäftigte in den niedrigeren Lohngruppen insgesamt deutlich häufiger auch von Abweichungen bei weiteren Lohnbestandteilen betroffen.

Tarifabweichungen dürften auch dadurch begünstigt werden, dass Betriebsräte in der Bauwirtschaft sehr selten sind. Aufgrund dieser Vertretungslücke fehlt in weiten Bereichen der Branche offenbar der „betriebliche Unterbau”, um tarifliche Standards bekannt zu machen und durchzusetzen. Stattdessen sind Beschäftigte oftmals auf sich alleine gestellt, ihre Ansprüche zu kennen und erfolgreich einzufordern, was in überwiegend kleinbetrieblichen Strukturen besonders schwierig ist. Von den offiziellen Kontrollinstanzen – der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) und der SOKA-Bau – können Beschäftigte hierbei nur wenig Unterstützung erwarten. Deren Kontrollen beschränken sich weitestgehend auf die Einhaltung des (unteren) Mindestlohns und selbst dies ist schwierig. Auch die Tarifvertragsparteien beschränken sich offenbar im Wesentlichen darauf, Betriebe und Beschäftigte über die Tarifbestimmungen zu informieren.

Die Analysen zu den Mindest- und Tariflöhnen in der Bauwirtschaft in den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien zeigen, dass die untersten Tariflöhne über den dortigen gesetzlichen Mindestlöhnen liegen. Die Lohnrahmentarifverträge sind in den Niederlanden und in vielen Regionen Frankreichs für allgemeinverbindlich erklärt, weshalb alle Lohnstufen von den Arbeitgebern verpflichtend anzuwenden sind. In Großbritannien gelten die Tarifbestimmungen allerdings nur für einen Teil der Baubeschäftigten, insbesondere wenn sie bei öffentlichen und großen privaten Bauvorhaben tätig sind. Im Vergleich zu Deutschland, wo nicht tarifgebundene Arbeitgeber lediglich den Mindestlohn einhalten müssen, ist damit die Verpflichtung der Betriebe in den Niederlanden und Frankreich (und eingeschränkt auch in Großbritannien) höher, alle Lohnstufen einzuhalten.

Vorträge zum Projekt

Prof. Dr. Gerhard Bosch: Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz – Eine Bilanz am Beispiel des Baugewerbes. Tarifpolitische Tagung 2010. Holiday Inn Düsseldorf, Hans-Böckler-Stiftung, WSI, 22.09.2010  Vortragsfolien

Projektdaten

Laufzeit des Projektes
01.07.2008 - 31.03.2010

Forschungsabteilung
Flexibilität und Sicherheit

Leitung:
Prof. Dr. Gerhard Bosch, Dr. Claudia Weinkopf

Bearbeitung:
Dr. Angelika Kümmerling, Dr. Georg Worthmann

Finanzierung:
Hans-Böckler-Stiftung