Informationen zum Forschungsprojekt

Zwischen Fragmentierung und Marginalisierung: Die Repräsentation schwacher Interessen am Beispiel von Erwerbslosen

Hintergrund und Zielsetzung

Organisierte Interessen in Form von Verbänden oder Vereinen sind essentieller Bestandteil des demokratischen Gemeinwesens. Die Möglichkeiten, mittels kollektiven Zusammenschlüssen Interessen sichtbar zu machen und politische Entscheidungen im Sinne dieser Interessen zu beeinflussen, sind jedoch ungleich zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verteilt. Insbesondere erwerbs- und produktionsnahe Interessen verfügen über eine hohe Organisations- und Konfliktfähigkeit, während soziale Interessen oft nur schwer organisierbar sind und über geringere politische Einflussmöglichkeiten verfügen.

Als Paradebeispiel für solch schwache Interessen gelten Erwerbslose, deren Organisationsschwäche u.a. auf ihre sozialstrukturelle Heterogenität, eine hohe Fluktuation dieses Personenkreises, eine geringe Identifikation mit dem Status Arbeitslosigkeit sowie sozialpsychologische Faktoren wie eine geringe Selbstwirksamkeit oder soziale Isolationstendenzen zurückgeführt wird. Gleichzeitig zeigt sich die Organisationslandschaft der Interessenrepräsentation von Erwerbslosen heterogen und unübersichtlich: während zum einen eine Vielzahl lokal und/oder regional tätiger (Selbsthilfe-)Organisationen existieren, die neben sozialrechtlicher Beratung zum Teil auch politische Lobbyarbeit betreiben, haben sich seit den 1980er Jahren auch kirchliche und gewerkschaftliche Pfade der Arbeitslosenarbeit entwickelt. Überdies fungieren die Wohlfahrtverbände häufig als advokatorische Interessenvertretung von Erwerbslosen.

In welchem Maße diese Organisationsvielfalt zu einer Stärkung der Repräsentation von Erwerbsloseninteressen – etwa durch Vernetzung und Kooperation – führt, oder ob es hierdurch zu einer Fragmentierung der Interessenrepräsentation und neuen Konkurrenzsituationen kommt, ist bislang nicht bekannt. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass trotz des in der Verbände- und Sozialpolitikforschung wiederentdeckten Interesses an schwachen sozialen Interessen die aktuelle Organisationslandschaft der Erwerbsloseninteressen weitestgehend eine Black Box darstellt. Dies gilt, obwohl die vergangenen Jahre von einer Vielzahl arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Debatten und Reformen im Feld der sozialen Sicherung von Arbeitslosen geprägt waren, in denen den Perspektiven der Erwerbslosen allerdings häufig nur eine randständige Rolle zukam. Offen bleibt, inwieweit diese Unsichtbarkeit als Seismograph einer strukturellen Marginalisierung der Interessenrepräsentation von Erwerbslosen gedeutet werden kann, zumal diese auch mit anderen sozialen Interessen um Aufmerksamkeit konkurrieren.

Forschungsinteresse

Vor dem skizzierten Hintergrund untersucht das Forschungsprojekt die Repräsentation schwacher Interessen am Beispiel von Erwerblosen. Im Kern steht die Exploration der Organisationslandschaft der Erwerbsloseninteressen sowie deren Strategien der Interessenaggregation, Interessenvermittlung sowie Vernetzung. Auf Basis dieser inhaltlichen Schwerpunkte eruiert das Forschungsprojekt, in welchem Maße sich Hinweise für eine Stärkung der Interessenrepräsentation von Erwerbslosen finden, welche Bedeutung hierbei der advokatorischen Interessenvertretung durch Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände zukommt und welche Auswirkungen das Aufkommen neuer Akteure, insbesondere NGOS, auf die Organisationslandschaft hat.

Vorgehensweise

Die Untersuchung ist explorativ angelegt. In einem ersten Schritt erfolgt eine Dokumenten- und Literaturrecherche, die in einem zweiten Schritt in einer systematisierenden Typologie von Interessenorganisationen mündet. In einem dritten Schritt werden leitfadengestützte Interviews mit Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen, die die Interessen von Erwerbslosen repräsentieren, durchgeführt, hierunter unabhängige Selbsthilfeinitiativen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände.

Vorträge zum Projekt

Dr. Fabian Beckmann: Ideen, Normen, Narrative: ‚Discursive Institutionalism‘ in der Governance der Grundsicherung. Jahrestagung der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, 06.11.2025

Dr. Fabian Beckmann, Dr. Florian Spohr: Zwischen fragmentierter Advokatisierung und partikularer Solidarität: Über den Strukturwandel der Vertretung schwacher sozialer Interessen am Beispiel von Arbeits- und Erwerbslosen. FIS-Forum "Solidarität im Sozialstaat", Leipzig, 03.11.2025

Projektdaten

Laufzeit des Projektes
01.05.2025 - 30.04.2026

Forschungsabteilung
Prekarisierung, Regulierung, Arbeitsqualität

Bearbeitung:
Dr. Fabian Beckmann, Dr. Florian Spohr (Universität Stuttgart)