Jakob, was sind aus Deiner Sicht die großen Herausforderungen für Plurale Ökonomik?

Jakob Kapeller: Ich denke, die wesentliche Herausforderung liegt darin nachzuweisen, dass ‚Plurale Ökonomik‘ ein legitimes Forschungsfeld darstellt. Ziel dabei ist es, die oft künstlich aufrechterhaltenen Grenzen zwischen verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen und ökonomischen Denkschulen aufzulösen. Zugleich gilt es, nicht zu verkennen, dass unterschiedliche konzeptionelle Brillen und Sichtweisen auch unterschiedliche Perspektiven auf den jeweiligen Forschungsgegenstand ermöglichen.

Ein wesentlicher Beitrag der pluralen Ökonomik liegt also in einer integrativen Betrachtung unterschiedlicher theoretischer und disziplinärer Ansätze. Oftmals gelingt es dadurch zu einem vollständigen und umfassenderen Bild sozialer Herausforderungen sowie möglicher Lösungsansätze zu gelangen. Den Mehrwert eines solchen Zugangs verständlich zu machen und in die wissenschaftliche Praxis zu integrieren, ohne dabei der Präzision und Klarheit verlustig zu gehen, die wissenschaftliche Arbeit auszeichnen, ist nicht immer ein einfaches Unterfangen.

Sozioökonomie will künstlich
aufrechterhaltene Grenzen zwischen
sozialwissenschaftlichen Disziplinen
auflösen

Ein einfaches Beispiel dafür der Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenszufriedenheit. Dieser wurde früher oftmals eindimensional – mehr Einkommen bedeutet automatisch auch mehr Lebensqualität und -zufriedenheit – gefasst. Heute weisen neuere Arbeiten verstärkt daraufhin, dass Zufriedenheit ein multidimensionales Phänomen ist, dessen Verständnis die Berücksichtigung unterschiedlicher Ebenen – wie etwa Gesundheit, Arbeitsbedingungen oder soziale Einbettung – erfordert. Dies kommt zugleich mit neuen methodischen Herausforderungen, da sich ja die Frage stellt, wie diese unterschiedlichen Dimensionen des guten Lebens zu erfassen und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind.

Kapeller Diskussion

Jakob Kapeller in der Diskussion über den neuen MA Sozioökonomie (Foto: J. Bank)

Was bedeutet ein sozioökonomischer Ansatz für Dich und Deine Schwerpunkte?

Die Sozioökonomie betont nicht nur, dass wirtschaftliche Phänomene sowohl aus einer systemischen ganzheitlichen Perspektive als auch aus Sicht einzelner Individuen analysiert werden können. Sie weist darüber hinaus auch darauf hin, dass jedes ökonomische Handeln und jeder ökonomische Prozess in einen breiteren sozialen Kontext eingebettet ist. Sie lässt damit das enge Feld der reinen Effizienzanalyse oftmals hinter sich und richtet ihre Energie auf den jeweiligen Kontext des Wirtschaftens. Sie stellt damit Fragen nach Verteilungswirkungen, nach dem Wechselspiel zwischen ökonomischer Dynamik und sozialer Kohäsion und nach den ökologischen Grundlagen menschlichen Lebens.

Sozioökonomie stellt Fragen nach
Verteilungswirkungen, dem
Wechselspiel zwischen ökonomischer
Dynamik und sozialer Kohäsion
und ökologischen Lebensgrundlagen

Sozioökonomie folgt also dem Motto, dass es oftmals besser ist, eine wichtige Frage zu stellen, als eine unwichtige zu beantworten. Dieses Aufgreifen der „großen Fragen“ ist auch historisch ein zentrales Charakteristikum der Sozioökonomie. Große Sozioökonom*nnen – man denke etwa an Max Weber, Joseph Schumpeter, Marie Jahoda oder Thorstein Veblen – waren sich selten zu schade, derartige große Fragen zu stellen. Ganz im Gegenteil: Oftmals standen die ganz großen Fragen – woher kommt der Kapitalismus, was ist eine Innovation oder was bewirkt Massenarbeitslosigkeit – im Mittelpunkt der Werke dieser.

Was ist Dir in der Lehre wichtig?

In der Lehre und bei öffentlichen Vorträgen ist mir wichtig die Zuhörer*innen abzuholen, wo sie stehen.

Es gibt meist keine letzten Antworten,
aber es ist gar nicht so schwer, die
großen Fragen selbstständig zu
benennen

Dies macht es mir leichter zu zeigen, dass es auf die großen Fragen zwar in den meisten Fällen keine letzten Antworten gibt, aber dass es zugleich gar nicht so schwer ist diese großen Fragen selbstständig zu benennen und auf die eigenen praktischen Herausforderungen oder wissenschaftlichen Interessen zu beziehen. Oft erlaubt es diese Vorgehensweise ein Auditorium zur Auseinandersetzung mit eben diesen großen Fragen nicht nur zu befähigen, sondern auch zu ermutigen.

 

Jakob Kapeller

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