Wege zu sozialer Teilhabe – Prozesse der Teilhabeherstellung in öffentlich geförderter Erwerbsarbeit

In der modernen Ungleichheitsforschung dient soziale Teilhabe als Gegenbegriff zu sozialer Exklusion und hat sich als Gerechtigkeitsnorm etabliert. Eine besondere Risikogruppe für mangelnde Teilhabemöglichkeiten sind langzeitarbeitslose Personen, da sie von Erwerbsarbeit als maßgeblichem Integrationsmodus ausgeschlossen sind. Eine wichtige Funktion zur Verteilung und Herstellung von Teilhabemöglichkeiten nehmen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ein. Die Einführung eines „sozialen Arbeitsmarktes“ mit der Verabschiedung des „Teilhabechancengesetzes“ im Jahr 2019 stellt eine substanzielle Grenzverschiebung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Deutschland dar, da – neben den bisherigen Zielen der Erwerbsintegration und der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit – die Erhöhung von Teilhabechancen für arbeitsmarktferne Personen als Zielstellung von Arbeitsmarktpolitik formuliert wurde.

Die Förderung von sozialer Teilhabe ist im aktuellen politischen Diskurs ein konsensfähiges Ziel. Unbestimmt bleibt jedoch, wann und wie sich Teilhabe durch Arbeitsmarktpolitik herstellen lässt. So wird soziale Teilhabe zwar im Rahmen persönlicher Lebensziele individuell erreicht, ist dabei jedoch vom Zusammenspiel individueller und institutioneller Bedingungen abhängig. Im Anschluss an den Capability Approach soll in diesem Dissertationsvorhaben untersucht werden, durch welche spezifischen Konstellationen von individuellen Ressourcen und Merkmalen der gefördert Beschäftigten sowie strukturellen Gegebenheiten und Restriktionen einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme sich unterschiedliche Ausprägungen sozialer Teilhabe in öffentlich geförderter Erwerbsarbeit erklären lassen. In Abgrenzung zur bisherigen Forschung liegt in diesem Dissertationsvorhaben der Fokus nicht auf der Frage, welche einzelnen Bedingungen zwischen der Maßnahme (geförderte Erwerbsarbeit) und dem Outcome (soziale Teilhabe) grundsätzlich vermitteln, sondern durch welche Bedingungskonstellationen unterschiedliche Ausprägungen im Teilhabeerleben (also ein Mehr oder Weniger an Teilhabe) hervorgerufen werden.

Als Datenbasis dienen qualitative Interviews mit langzeitarbeitslosen Personen, die bis zu drei Jahren in geförderter Erwerbsarbeit beschäftigt waren. Die Interviews werden anhand rekonstruktiver Fallanalysen ausgewertet. Hierbei wird eine qualitative, akteursbezogene Längsschnittperspektive eingenommen, um die Konstruktion und Veränderungen von sozialer Teilhabe, wie sie sich in sozialen Prozessen vollzieht, erfassen zu können.

Die Erkenntnisse des Dissertationsvorhabens können zu einer Weiterentwicklung eines „sozialen Arbeitsmarktes“ beitragen. Denn zur Steuerung von Maßnahmen des sozialen Ausgleichs ist es entscheidend zu wissen, für wen sie unter welchen Bedingungen wie wirken. Der Beitrag für das Promotionskolleg liegt darin, dass dieses Dissertationsprojekt Arbeitsmarktpolitik als Verteilungspolitik in den Blick nimmt und analysiert, wann und wie durch das Instrument der öffentlich geförderten Erwerbsarbeit ungleich verteilte Teilhabechancen reduziert werden können. Mit dem Konzept der sozialen Teilhabe wird eine multidimensionale Perspektive auf soziale Ungleichheit eingenommen. Ein Beitrag dieser Arbeit für das Kolleg liegt zudem darin, dass durch den Fokus auf eine von Armut und Ausgrenzung betroffene Gruppe, sowohl soziale Folgen von Ungleichheiten als auch Prozesse der Ungleichheitsreduzierung betrachtet werden.