Teilprojekt 3

Teilprojekt 3
Praktiken des Neo-Osmanismus in Kunst und Kunstwissenschaft: Medien der Sakralisierung zwischen anachronistischer Affirmation und Subversion
Ausgangspunkt des Teilprojekts ist die aktuell vieldiskutierte staatliche Vereinnahmung osmanischer Kulturtraditionen. Diese sind als Gegenpol zu künstlerischen Positionen zu verstehen, die seit den 1980er Jahren das säkulare Dispositiv des kemalistischen Staates aufgekündigt haben. In der ersten Projektphase wurde diese künstlerische Reklamierung spezifischer lokaler türkisch-islamischer Kulturtradition untersucht, die sich konträr zu den universalistisch-säkularen Diskurs der Gegenwartskunst positionierte und eine kritische Vergegenwärtigung von pluralen Geschichtskonzepten intendierte. Der Fokus soll nun in der zweiten Projektphase stärker auf jenen aktuellen Formen der Re-Osmanisierung liegen, die von staatlicher Seite eine gegenläufige, affirmative Strategie verfolgen.
Mit Schwerpunkten auf den materiellen Traditionen des islamisch geprägten Kunsthandwerks sowie einer neuen Funktionalisierung byzantinischer und osmanischer Denkmäler, verfolgt die aktuelle Kulturpolitik eine anachronistische Identitätskampagne, deren Akteur*innen gerade die Aufhebung ambiger Wahrnehmungen mit der Proklamation kultureller Exklusion und Vereindeutigung zu erreichen suchen. Das Teilprojekt wird dabei zum einen erweiterte künstlerische Positionen, aber auch diejenigen sakralen Medien und Räume in den Blick nehmen, die jenseits des kemalistischen musealen Diskurses derzeit politische Relevanz erlangen. Zudem soll, begleitet von jüngsten methodischen Ansätzen zu einer spezifisch islamisch-sakralen Phänomenologie verstärkt auf die Diskussion um „islamische“ Kunstgeschichte eingegangen werden, und dabei vertieft die prägende Rolle westlicher Kunsthistoriker*innen für die popularisierte Erfassung von osmanisch-türkischer Sakralarchitektur sowie weitere Medien des Sakralen, insbesondere der Kalligrafie, untersucht werden, um damit auch nach deren Vorläuferrolle für die derzeitige affirmative Religionspolitik zu fragen.
Das Arbeitsprogramm der zweiten Förderphase fußt auf drei Schwerpunkten, die sich als neue Voraussetzungen ambiger Religionspolitiken in der türkischen Kulturpolitik und Gegenwartskunst nachweisen lassen: a) Ambiguisierungen von Religion und Blackness im Dispositiv der Black Turks b) Anachronismen des Neo-Osmanismus und Konstruktionen einer ambigen religiös-säkularen Gegenwart und c) Queerness und Genderpolitiken als ambige Praktiken des Religiösen. In der Untersuchung neo-osmanischer Gegenwartsfiktion und künstlerischer Verhandlungen von osmanischer Vergangenheit und Geschlechtermodellen, bieten die Methoden der Queerness- Forschung das Potential bestehende historische Linearität von Geschichtskonzepten durch queere Interpolierungen von Zeit und Raum-Regimen zu dekonstruieren und ebenso normative Ordnungsmodelle von Gesellschaft und Sexualität aufzuheben.
Eingebunden in diese Forschungsphase ist die Kollaboration mit weiteren Teilprojekten zu spezifischen Querschnittsthemen. Die in diesem Rahmen und in Kooperation mit weiteren Instituten organisierte Ringvorlesung „Queerness. Konzepte und Debatten in der transkulturellen Gegenwart“ wirft Schlaglichter auf diverse Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen, in denen ambige Gender-Konstellationen binäre Unterscheidungen öffnen, verschieben und aufkündigen.
Das Transferprojekt „Ambiguität und Unvorhersehbarkeit: Zu Formen des Widerstands und der Archivierung queerer Erzählungen“ mit der Medienkunstfellow Aylime Aslı Demir aus Ankara, gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, ergänzt die kunsthistorische Forschung mit einer Perspektive aus kuratorischer und aktivistischer Praxis.
Projektleiterin
Prof. Dr. Gabriele Genge
gabriele.genge@uni-due.de
Projektmitarbeiterin
Eva Liedtjens
eva.liedtjens@uni-due.de
Wissenschaftliche Hilfskraft
Esra Canpalat
esra.canpalat@uni-due.de