Nachruf - Prof. em. Dr. Franz Nuscheler (1938-2025)

Foto: Jochen Hippler
Mit großer Trauer haben wir erfahren, dass INEF-Gründungsdirektor Prof. em. Dr. Franz Nuscheler am 31.07.2025 im Alter von 87 Jahren verstorben ist. Über Jahrzehnte hat er die Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik in Deutschland maßgeblich mitgeprägt. Mit ihm verlieren wir einen engagierten und im besten Sinne des Wortes auch streitbaren Forscher, der sich seit den 1960er Jahren immer wieder in allen zentralen Debatten des von ihm in Deutschland mit etablierten Forschungsfelds pointiert zu Wort gemeldet hat. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.
Nach einem Studium der Politikwissenschaft, der Geschichte und des Öffentlichen Rechts in Heidelberg promovierte Franz Nuscheler 1967 über „Walter Bagehot und die englische Verfassungstheorie“ bei Dolf Sternberger. Nach Abschluss der Promotion war er von 1969 bis 1974 als Wissenschaftlicher Assistent und später Oberrat an der Universität Hamburg tätig. 1974 wurde er zum Ordentlichen Professor für Vergleichende und Internationale Politik an die (damalige) Gesamthochschule Duisburg berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 2003 wirkte. In der dortigen Fakultät für Gesellschaftswissenschaften gründete er 1990 das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), das seither die Arbeit der gleichnamigen, von Willy Brandt initiierten „Stiftung Entwicklung und Frieden“ wissenschaftlich unterstützt (eine Würdigung des Engagements von Franz Nuscheler durch die sef: finden Sie hier). Als Direktor stand Franz Nuscheler dem INEF bis Mai 2006 vor. Nach seiner Emeritierung an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg war er ab 2003 zudem als Gastprofessor an der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) tätig, die ihm 2009 den Titel „Senior Fellow“ verlieh (einen Nachruf der JKU auf Franz Nuscheler finden Sie hier).
Über Jahrzehnte kamen Generationen von Studierenden immer wieder mit den Arbeiten von Franz Nuscheler in Berührung, die oftmals wegweisend waren: Bereits 1974 schuf Franz Nuscheler gemeinsam mit Dieter Nohlen mit dem „Handbuch der Dritten Welt“ ein Standardwerk für die deutschsprachige Entwicklungsforschung. Es stellte nicht nur den „state of the art“ zur Forschung über Entwicklungstheorien und -strategien dar, sondern gab auch den regionalen und nationalen Trends und Eigenheiten breiten Raum. Im Jahr 1985 erschien die erste Auflage von Franz Nuschelers „Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik“, das wie kein anderes Werk im deutschsprachigen Raum Studierenden ebenso wie Interessierten jenseits der Universitäten den zentralen Zugang zu dem Feld verschaffte, zuletzt mit der 7. Auflage 2012.
Die Schriften von Franz Nuscheler boten immer Orientierung und waren darauf bedacht, neben theoretischer und empirisch-analytischer Fundierung auch anwendungsorientiert politische Praxis zu beeinflussen. Franz Nuscheler verstand dabei Entwicklungspolitik nie als isoliertes Politikfeld, sondern als Teil globaler Strukturpolitik. Neben der zentralen Bedeutung der Menschenrechte für Entwicklung erkannte er vor vielen anderen den Stellenwert von Migration und Flucht für die globale Politik – und scheute sich nicht, neben originär wissenschaftlichen Veröffentlichungen dies auch einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen: Nicht von ungefähr erhielt er für „Nirgendwo zu Hause“ 1985 den Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher.
Dass Franz Nuscheler als Gründungsdirektor des INEF ein „Institut für Entwicklung und Frieden“ in der Forschungslandschaft etablierte, war gleich in doppelter Hinsicht bedeutsam: Mit dem „für“ versteckte er nicht den normativen Anspruch seiner Arbeit. Und das Zusammendenken von Entwicklung und Frieden unterstrich einen Befund, der schließlich auch auf globaler Ebene im Jahr 2015 mit der Agenda 2030 Einzug in die Formulierung der Ziele der Vereinten Nationen für eine „nachhaltige Entwicklung“ fand.
Dass Entwicklungspolitik kein Nischenthema sein darf, machten auch maßgeblich Franz Nuschelers Publikationen zu Global Governance deutlich. Gemeinsam mit Dirk Messner schaffte Franz Nuscheler es ab den frühen 2000er Jahren, dieses Konzept in Deutschland in Forschung und interessierter Öffentlichkeit zu verankern. Es bedeutete damals nicht weniger als ein neues Denken, das die Souveränität des Nationalstaates in die wechselseitigen Abhängigkeiten international und transnational vernetzter Politik einordnet. Vor dem Hintergrund gemeinsamer Überlebensinteressen muss, so eine zentrale These, eine vielschichtige Mehr-Ebenen- und Multi-Akteurs-Politik dem Primat globaler Kooperation folgen. Eine Erkenntnis, die auch und gerade in Zeiten der Rückkehr einer von nationalstaatlichen Interessen geprägten Machtpolitik relevanter denn je ist.
Anerkannt wurde Franz Nuschelers Expertise und sein Blick für das politisch Machbare und Notwendige von vielen Seiten: So war er nicht nur in zahlreichen wissenschaftlichen Beiräten und Auswahlkommissionen vertreten, sondern auch als sachverständiges Mitglied in der Enquete-Kommission des Bundestags „Globalisierung der Weltwirtschaft“ oder im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung“ (WBGU) tätig. Für sein vielfältiges Engagement erhielt Franz Nuscheler 2001 den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Entwicklung und Frieden sind auch heute noch den wegweisenden Erkenntnissen des INEF-Gründungsdirektors verbunden und behalten ihn mit großer menschlicher wie fachlicher Wertschätzung in Erinnerung.