“Tax Illiteracy” – Zum Effekt von Steuerwissen auf die Steuerpolitik

Seit den 1980er Jahren gibt es einen globalen Trend hin zu niedrigeren Steuersätzen für hohe Einkommen und einer abnehmenden Progressivität von Steuersystemen. Auch in Deutschland wurde das Steuersystem durch jüngere Reformen weniger progressiv, in unteren Einkommensdezilen sogar regressiv. Zu nennen sind hier u.a. Reformen der Unternehmens- und Kapitalbesteuerung, die Aussetzung der Vermögenssteuer, die lückenhaften Erbschafts- und Schenkungssteuern und die Erhöhung der Umsatzsteuer. Dies steht konträr zur kontinuierlichen Forderung einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit nach einer Steigerung der Beteiligung höherer Einkommens- und Vermögensschichten an der Finanzierung des Gemeinwesens. Generell ist die Sozial- und Steuerpolitik in Deutschland stark an einkommensstarken Schichten orientiert, die steuerpolitischen Vorstellungen und Forderungen unterer Einkommen dagegen laufen oft ins Leere. Diese Diskrepanz zwischen Steuereinstellungen und Steuerpolitik soll in der Dissertation näher untersucht werden. Dabei sollen Erklärungsstrategien für die mangelnde Responsivität deutscher Steuerpolitik entwickelt und getestet werden.

Im Rückgriff auf Erkenntnisse der Fiskalsoziologie – genauer: der Steuerpsychologie und der Literatur zu Steuerwissen (tax literacy) – wird dabei angenommen, dass es bereits während der Artikulation des gesellschaftlichen Interesses zu Steuerfragen zu Komplikationen und Fehlern kommt. Steuerwissen – verstanden als gesellschaftlich geteilte Vorstellungen über Steuern und Besteuerung – wird als Einflussfaktor auf die Steuerpolitik behandelt. Dieses geteilte Wissen ist bestimmt und abhängig von medialer (Eliten-)Kommunikation. Mangelndes ökonomisches Verständnis über die Funktion und Wirkungsweise von Steuern, psychologische Faktoren sowie die hohe Komplexität des Themas sorgen demnach dafür, dass Steuerpolitik trotz seiner hohen Salienz für die Bürger:innen in seiner Fähigkeit zur Mobilisierung eingeschränkt ist. Die Folge ist, dass der politische Prozess der Steuerpolitik weitgehend abgeschottet von der Öffentlichkeit stattfindet und nur punktuelle – oft zuvor selektierte – Informationen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung erregen. Für Politiker*Innen bietet die steuerpolitische ‚Ignoranz‘ der Bevölkerung zusätzliche Gestaltungsspielräume über die gesellschaftliche Debatte und die Politikformulierung.

Gleichzeitig wird jedoch angenommen, dass auch das steuerpolitische Wissen der politischen Eliten mangelhaft ist. Dementsprechend sind sie in ihrer Arbeit angewiesen auf zusätzliche Informationsquellen, auf die sie in der politischen Entscheidungsfindung maßgeblich zurückgreifen. Bereitgestellt werden diese Informationen einerseits durch organisierte Interessensgruppen und private Beratungsdienstleister; andererseits durch die Ministerialbürokratien. Durch die Abhängigkeit der politischen Entscheidungsträger von dieser Expertise gewinnen diese Gruppen maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des deutschen Steuersystems. Politische Eliten und organisierte Interessensgruppen sind zudem Teil einer öffentlichen Debatte in den Nachrichtenmedien. Diese sind sowohl eigenständige Akteure, dienen aber auch als Austragungsort gesellschaftlicher Debatten und bedingen eine gemeinsame Wissensbasis der Gesellschaft. Dadurch begrenzen und beeinflussen sie die Abwägungen und Präferenzen sowohl der Öffentlichkeit und der politischen Elite in den betroffenen Themenfeldern.

Um diese Annahmen zu prüfen, rücken zum einen Kommunikations- und Informationsstrategien sowie deren Einfluss auf gesellschaftliche Steuereinstellungen und -präferenzen in den Fokus. So soll mit Hilfe von Instrumenten des Text Minings die Mediendebatte über Steuerthemen in Deutschland über einen langen Zeitraum zu analysieren. Darauf aufbauend soll mit einer repräsentativen experimentellen Befragung innerhalb der Bevölkerung zum einen der allgemeine Wissenstand über Steuerpolitik erhoben und zum anderen der Einfluss gesellschaftlich relevanter Steuer-Narrative und Steuerinformationen auf Steuereinstellungen untersucht werden. Weiter sollen auch die Aggregation und Artikulation dieser Interessen im politischen System durch die politischen Eliten analysiert werden.

 

„Tax Illiteracy" – Tax knowledge and it’s effect on the politics of taxation

Since the 1980s there exists a global movement towards lower tax rates for higher incomes and less progressive systems of taxation. A case in point is Germany, where the tax system has become less progressive; and even regressive for the lowest incomes. The political initiatives responsible for this trend include i.a. reforms of business and capital taxation, the suspension of the wealth tax, disparate inheritance and gift taxation as well as the increase of the value added tax. This development is contrary to widespread societal demands for a more balanced distribution of burdens in society, determined according to individual economic capacity. The German social and tax policies are strongly oriented towards the higher income brackets of society. Meanwhile, the demands and ideas of lower incomes do not find expression within the political system. To analyse this apparent discrepancy between tax preferences and tax policy is the subject of this dissertation project. More precisely, I develop and test different explanations for the lacking responsivity of German tax policy.

I assume that errors and complications already occur in the articulation of societal preferences on the topic of taxation. Knowledge of taxation, meaning socially shared perceptions of the subject, are treated as a determinant in the politics of taxation. This shared knowledge base is determined and dependent on (elite) communication via the media. Hereby I fall back on insights from the literature of fiscal sociology on the psychology of taxation and tax literacy. Lacking economic knowledge on the function and mechanisms of taxation, psychological factors and the issues’ complexity serve to impede its mobilisation potential – despite its high saliency. The consequences are a political process that is largely isolated from the public and a popular sentiment determined by selective exposure to relevant information. This public ignorance on matters of taxation leads to a greater dependency on media information and thus opens additional room for manoeuvre on part of politicians to moderate public debate and policy formulation.

A further assumption concerns the tax knowledge of political elites, which is deemed to be similarly lacking. Political elites are viewed as dependent on additional, external sources of information which largely inform their political decision-making. This information is supplied by organised interest groups, private consulting services or the ministerial bureaucracies. The dependency of political decision makers on the expertise offered by these groups they secure a significant influence on the design and formulation of the German tax system. Additionally, political elites and organised interest groups engage in a public debate via the news media. The news media represent both an individual actor and an arena for general debate in society and thus determine a socially shared knowledge base. As such, they inform public and elite assessment and perceptions on discussed issue areas.

To examine these assumptions the communication and information strategies as well as their effect on public tax attitudes and preferences are analysed. Using text mining tools, the long-term media debate on issues of taxation are analysed. On this basis, a representative experimental survey aims to analyse the effect and influence of dominant tax narratives and information on public tax attitudes. Additionally, the aggregation and articulation of these preferences within the political system by political elites will be examined.