Kompetenzorientierung im Katastrophenschutz - Organisationsübergreifender Kompetenzrahmen am Beispiel von Hochwassereinsätzen
Organisationsübergreifender Kompetenzrahmen am Beispiel von Hochwassereinsätzen Kompetenzorientierung im Katastrophenschutz (KOKA)
Der Klimawandel, zunehmende Urbanisierung und eine wachsende Systemkomplexität führen dazu, dass Katastrophenereignisse häufiger, dynamischer und unvorhersehbarer werden. Hochwasser, Starkregen und Sturzfluten fordern den Bevölkerungsschutz in Deutschland in bisher unbekanntem Ausmaß heraus. Im Einsatz arbeiten Organisationen wie Feuerwehr, THW, DLRG, Wasserbau und Rettungsdienst eng zusammen. Doch ihre Ausbildungsstrukturen, Lernzielsysteme und Kompetenzmodelle unterscheiden sich erheblich. Während jede Organisation über ausgeprägte interne Curricula verfügt, fehlt bislang ein organisationsübergreifendes Kompetenzmodell, das beschreibt, welche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen Einsatzkräfte gemeinsam benötigen, um in komplexen, interdisziplinären Lagen effektiv zusammenzuarbeiten. Genau hier setzt das aktuelle Forschungsprojekt an.
Zielsetzung des Projekts
Das KOKA-Projekt untersucht, welche Kompetenzen Einsatz- und Führungskräfte im Katastrophenschutz benötigen, um unter Bedingungen von Unsicherheit, Zeitdruck und Komplexität handlungsfähig zu bleiben und wie diese Kompetenzen über Organisationsgrenzen hinweg beschrieben, vermittelt und gemessen werden können.
Zentrale Forschungsfragen sind:
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Welche Lern- und Kompetenzziele finden sich in den Ausbildungsplänen von DLRG, Feuerwehr, THW, Wasserbau und Rettungsdienst?
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Wie lassen sich diese Ziele in eine einheitliche, taxonomisch fundierte Struktur überführen?
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Welche Kernkompetenzen sind organisationsübergreifend relevant, und wie können sie in Ausbildung und Training systematisch gefördert werden?
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Welche Implikationen ergeben sich daraus für eine Katastrophenschutzdidaktik als neue wissenschaftliche Disziplin?
Das Projekt schließt unmittelbar an das in der Fachdidaktik Bautechnik entwickelte Planspielprojekt Einsatz in Grimhausen an. Das Planspiel dient zur Aus- und Fortbildung im Katastrophenschutz und simuliert realitätsnahe Hochwasserszenarien für verschiedene Organisationen. Es bietet einen praxisnahen Zugang zur Einsatzplanung, Kommunikation und Entscheidungsfindung in komplexen Lagen.
Forschungsrelevanz und Innovationsbeitrag
Das Vorhaben schließt eine zentrale Lücke zwischen Ausbildungspraxis und Bildungsforschung: Bislang existieren in Deutschland weder ein gemeinsamer Kompetenzrahmen noch eine didaktisch fundierte Systematik, die Lernprozesse im Katastrophenschutz organisationsübergreifend beschreibt. Dadurch fehlen Vergleichbarkeit, Anschlussfähigkeit und gemeinsame Qualitätsstandards in der Aus- und Fortbildung. Mit der Entwicklung eines interorganisationalen Kompetenzrahmens für Hochwassereinsätze wird erstmals eine fundierte Grundlage geschaffen, die
- die Ausbildungslogiken verschiedener Organisationen systematisch verknüpft,
- den Paradigmenwechsel zur Kompetenzorientierung auch im Katastrophenschutz vollzieht,
- und die Basis für eine neues didaktisches Konzept legt welches als Professionsdidaktik des operativen Katastrophenschutzes zu verstehen ist.
Der Forschungsansatz verbindet Elemente der Bildungswissenschaft, Technikdidaktik und Resilienzforschung. Er trägt dazu bei, Lernen im Katastrophenschutz nicht mehr nur als technische Schulung, sondern als reflexiven, erfahrungsbasierten und adaptiven Prozess zu begreifen.
Weiterführende Erkenntnisse und theoretische Implikationen
Im Verlauf des Forschungsvorhabens sind zusätzlich zu den ursprünglich intendierten Zielen neue theoretische und systematische Erkenntnisse entstanden, die über den engen Untersuchungsrahmen der Kompetenzanalyse hinausgehen.
Die Auseinandersetzung mit Lernzielen, Organisationsstrukturen und Bildungskulturen im Katastrophenschutz hat gezeigt, dass die bestehenden pädagogischen Konzepte des Bevölkerungsschutzes einer weiteren Differenzierung und Präzisierung bedürfen.
Auf Basis der durchgeführten Analysen wurde deutlich, dass die bislang vorrangig pädagogisch geprägte Bevölkerungsschutzpädagogik um eine klar strukturierte didaktische Systematik erweitert werden sollte. Diese neue Systematik könnte künftig drei aufeinander bezogene, aber eigenständige Didaktikfelder umfassen:
- Bevölkerungsschutzdidaktik als übergreifendes Konzept, das die Gestaltung von Lern-, Lehr- und Kommunikationsprozessen im gesamten Bevölkerungsschutz beschreibt;
- Katastrophenschutzdidaktik als spezialisierte Fachdidaktik, die sich ausschließlich auf Lern-, Lehr- und Kompetenzentwicklungsprozesse im operativen Katastrophenschutz bezieht;
- Zivilschutzdidaktik als potenziell zu entwickelnde Didaktik, die Bildungs-, Trainings- und Aufklärungsprozesse im Spannungs- und Verteidigungsfall adressiert.
Diese theoretische Erweiterung trägt dazu bei, das Verständnis von Bildung und Kompetenz im Bevölkerungsschutz differenzierter, anschlussfähiger und wissenschaftlich belastbarer zu gestalten. Sie markiert zugleich den Beginn einer neuen wissenschaftlichen Diskussion über die Struktur, Reichweite und Interdisziplinarität der Bevölkerungsschutzpädagogik, die künftig als Dachkonzept über verschiedene Didaktiken hinweg fungieren kann.
Die hier gewonnenen Erkenntnisse bilden somit nicht nur eine Grundlage für die Professionalisierung von Ausbildung und Training im Katastrophenschutz, sondern leisten auch einen konzeptionellen Beitrag zur theoretischen Weiterentwicklung der Bildungswissenschaft im Bevölkerungsschutz insgesamt.
Projektstatus
Das KOKA-Projekt befindet sich derzeit in der finalen Phase. Die Ergebnisse werden für das 4. Quartal 2025 erwartet. Der Projektbericht wird aktuell erstellt und wird in der Reihe report fachdidaktik bau:technik frei verfügbar sein.
Weitere Informationen und Einblicke
Das Projekt KOKA - Kompetenzorientierung im Katastrophenschutz wird auch auf der Plattform BauVolution.de vorgestellt. Dort erscheinen regelmäßig weitere Hintergründe, Blogbeiträge und aktuelle Entwicklungen zur Forschung rund um Lernen, Handeln und Resilienz.