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Ein Gespräch mit Professor Christoph Bieber

Bots verbieten? Das wäre Unfug

  • von Ulrike Bohnsack
  • 12.07.2017

Das Netz wählt mit – weshalb Politiker/innen nicht mehr nur posten und twittern. Ein Gespräch mit Professor Christoph Bieber über Soziale Medien und Meinungsmaschinen.

Ist der Online-Wahlkampf für Parteien ein Muss?

Absolut. Natürlich spielt er eine andere Rolle als in den USA, wo sehr viel mehr Geld hierfür bewegt wird. Dennoch trennen die meisten Parteien in Deutschland nicht mehr strikt zwischen analogen und digitalen Kampagnen. Das sieht man etwa bei der CDU: „connect17“ ist eine App, die den Haustür-Wahlkampf unterstützen soll.

Twitter, Facebook und YouTube sind relevante Arenen für Wahlen geworden, Instagram und Snapchat werden es vermutlich noch. Und die deutsche Politik versteht es, mit ihnen umzugehen. Alle Parteien haben bei der NRW-Wahl versucht, über Soziale Medien ihre Zielgruppen anzusprechen. Sie haben Hashtags entwickelt, wie etwa die SPD mit #NRWir; sie haben Spots und andere Inhalte auf Portalen platziert.

Natürlich hängt es auch von den Kandidat/innen ab, wie stark sie selbst solche Plattformen bespielen. Die Bundeskanzlerin wird das wohl nicht ganz so offensiv tun wie etwa Herr Lindner.

Bringt der Online-Wahlkampf wirklich einen Mehrwert?

Ganz bestimmt denjenigen in der Wählerschaft, die das Internet zur Informationsaufnahme bevorzugen. Immer mehr Menschen verlagern ihren Medienkonsum ins Social Web; hierauf reagieren auch Organisationen, die politische Bildung vermitteln. Nehmen Sie den beliebten Wahl-O-Mat. Er ist mittlerweile auch auf solche Foren ausgelegt. Das heißt: Ich kann mein Ergebnis direkt posten, dort Diskussionen führen, meine Kritik äußern zu der Sortierung, die vorgenommen wird. Als Bürger kann ich mich auch damit an den Wahlkampfdebatten beteiligen.

Welche Plattform ist am wichtigsten?

Von der Reichweite dominiert absolut Facebook. Man muss aber darauf achten, wer angesprochen werden soll. Facebook ist das digitale Massenmedium, in dem ein breiter Querschnitt der Bevölkerung unterwegs ist. Twitter ist hingegen eine Art Branchendienst, der vor allem sehr stark genutzt wird von der Politik selbst, von Journalisten, von Agenturen, die politische Werbung machen, oder von Interessenverbänden.

Über Snapchat und Instagram wiederum erreicht man eher Jüngere, die in anderen Netzwerken schon nicht mehr zu finden sind.

Wie ist der Stil?   

Man erkennt Unterschiede in den Botschaften, die im Social Web kursieren, und solchen, die über klassische Kanäle laufen. Was als kurzer Video-Clip durch das Netz geschickt wird oder als Sharepic* gebaut wird, kann schärfer sein und angreifender platziert werden als massenkompatible Wahlplakate oder TV-Spots. In Deutschland sind übrigens meist die Jugendorganisationen der Parteien zuständig für die etwas härteren Gangarten.

Was fällt noch auf?

Es kommen neue Player hinzu. Sie entstehen – manchmal aus Zufall – im Netz, haben aber mit den offiziellen Wahlkampfkanälen gar nichts zu tun. Siehe Martin Schulz und die Memes** ‚Schulzzug’ oder ‚Gottkanzler Schulz’. Nur – wie gehe ich als Politiker damit um: Distanziere ich mich, umarme ich solche Mithelfer, verhalte ich mich neutral?

Ich bin gespannt, ob es im Bundestagswahlkampf ebenfalls Kampagnen geben wird, die sich im Kielwasser der Kandidat/innen entwickeln und dort ihre Wirkung entfalten – zumindest in der Berichterstattung. Rund um Herrn Lindner kann man sich ähnliche Phänomene vorstellen wie bei Martin Schulz. Bei Frau Merkel nicht unbedingt. Aber: Das Netz ist unberechenbar.

Wo können Parteien noch dazu lernen?

Im Netz erreicht man vor allem die eigenen Unterstützer. Die könnte man viel besser mobilisieren. Beispiel SPD: Der Hype um Martin Schulz hat ihr viele Neueintritte beschert, was ungewöhnlich in diesen Zeiten ist. Man darf annehmen, dass sich die Neuen gerne einbringen wollen – wenn es schon keine aufwändigere Beteiligung im Straßenwahlkampf oder im Ortsverein sein soll, dann doch zumindest digital. Also könnte man sie über Likes, über das Teilen von Inhalten schnell und niederschwellig einbinden. Doch der Schwung wurde nicht gut mitgenommen. Das hat man im NRW-Wahlkampf gesehen. Andere Parteien waren digital sehr viel breiter aufgestellt, allen voran die AfD.

Wie nutzt die AfD denn das Netz?

Sie ist die jüngste Partei, sie kommt aus dem Post-URL-Zeitalter. Während für die anderen Parteien die Website immer noch ein zentrales Organisationsmerkmal ist, ist die AfD über Facebook und Twitter groß geworden. Es sind ihre zentralen Werkzeuge, über die sie sich austauscht. Daraus resultiert ein Vorsprung im Online-Wahlkampf; und der dürfte sich erstmal halten.

Sind Fake News und Bots auch bei uns zu erwarten?

Sicher wird es im Wahlkampf Versuche geben, mit Propaganda-Elementen zu arbeiten: also mit bewusst gestreuten Fehl- und Falschinformationen, mit künstlichen Followern, um die Reichweite zu vergrößern oder die Informationsquelle zu verschleiern.

Auch Algorithmen, die automatisiert Nachrichten verbreiten und menschliches Verhalten simulieren, werden wir wohl haben. Die Frage ist: Wie leistungsstark sind diese Netzwerke? Sie müssen lernen, sie müssen wachsen, sie müssen sich in die vorhandenen Kommunikationsstrukturen einklinken, und das braucht Zeit.

Im NRW-Wahlkampf hat künstliche Kommunikation jedenfalls keine Rolle gespielt, und auch für September erwarte ich das nicht. Ein Grund dafür ist auch: Wir profitieren in Deutschland von einem funktionierenden dualen Mediensystem, das als ein Schutzmechanismus wirken kann.

Was sind denn Social Bots? Unethisch, gefährlich, hilfreich?

Das kann man momentan nicht beantworten. Die Rufe nach einer Algorithmen-Ethik ist verständlich, aber man wird noch Zeit brauchen, um das Phänomen an sich zu verstehen und entsprechende Positionen zu erarbeiten.

Und dass alle Parteien einem Einsatz abschwören, etwa durch ein gemeinsames Memorandum, ist nicht nur schwierig umzusetzen. Es hieße auch, sich aus einer Entwicklung auszuklinken, die durchaus positiv sein kann.

Sie spielen auf die ‚guten’ Seiten an?

Man sollte Bots nicht nur als Agenten des Bösen sehen; solche Systeme können auch als Filter oder Navigationssystem wirken. Wie der Novi-Bot des Jugendsenders Funk, der Nachrichten über den Facebook-Messenger kommuniziert. Vieles lässt sich mit automatisierten kleinen Programmen regeln, ohne dass gleich manipuliert wird. Bots pauschal zu verbieten, wäre innovationshemmend und tatsächlich Unfug.

* Kombination aus Kurztext und Foto
** Netz-Hype

Zur Person:
Christoph Bieber (47) hat die Welker-Professur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft inne. Ihn interessiert vor allem, wie sich die Neuen Medien auf die Demokratie und politischen Prozesse auswirken. Er twittert und bloggt regelmäßig.

twitter.com/drbieber
internetundpolitik.wordpress.com

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