Fußball in Japan ist anders. Fan sein auch, weiß Benjamin Rabe

Wenn Ultras den Müll einsammeln

  • von Ulrike Bohnsack
  • 21.06.2018

Viel hätte er gegeben, um sich mal eben nach Wolfsburg beamen zu können. So aber sitzt Benjamin Rabe am 22. Mai gute 9.000 Kilometer weit weg in seiner Tôkyôter Wohnung. Allein. Es ist halb 4 morgens. Wie schon vier Tage zuvor hypnotisiert er sein Handy. Das Relegationsrückspiel der Bundesliga läuft, und er ist dabei – Livestream sei Dank. Als das erlösende Tor fällt, das den VfL endgültig rettet, haut sein Jubel die Nachbarn aus dem Bett.

„Es war die Hölle“, stöhnt der 28-Jährige, dass er schon wieder von Japan aus um den Klassenerhalt seiner Wölfe zittern musste. Extra nach Hause zu jetten, wie 2015 fürs Pokalfinale nach Berlin, war zeitlich einfach nicht drin.

Seit 2012 lebt der Ostasienwissenschaftler mal in Tôkyô, mal in Wolfsburg bzw. Duisburg. Er ist Doktorand an der UDE und forscht gerade am Deutschen Institut für Japanstudien. Nein, um Fußball geht es dabei nicht, sondern um die Hightech-Industrie – ein großes Thema für die deutsch-japanische Zusammenarbeit.

Doppelfan – wie geht das?
Und ja: Benjamin Rabe hat Ballfieber. Schweres sogar. Hingebungsvoll und erfrischend erzählt er vom turbulenten Fanleben und seinem geteilten Herzen: Eine Hälfte schlägt nämlich mittlerweile für Kashiwa Reysol, den Club vor den Toren Tôkyôs. Eigentlich undenkbar, zwei Vereinen ohne Wenn und Aber anzuhängen. Und auch farblich geht Grün-Weiß (Wolfsburg) und Gelb (Kashiwa) schlecht zusammen. Doch zwischen dem Sport hüben und drüben liegen Welten, betont Rabe. „Baseball ist in Japan die Nummer eins und der Profi-Fußball noch jung. Auch Fan zu sein, ist völlig anders.“

Es war vor zwei Jahren, als sich der große blonde Student in die Kashiwa-Kurve stellte – zu 200 Ultras. Ein Kollege hatte das vermittelt. Herzlich wurde der ‚Fremde‘ begrüßt und gehört seither dazu. Ultras? In Europa sind sie als Krawall­macher verschrien – zu Unrecht, wie Rabe findet, „da sie viel für Atmosphäre und Fankultur tun“. Im Land der aufgehenden Sonne sorgt die Szene hingegen selten für negative Schlagzeilen. „Man wetteifert nicht darum, Regeln zu brechen, sondern sie am striktesten einzuhalten, weil die aktiven Fans als Gegenleistung Freiheiten bekommen, von denen wir in Deutschland nur träumen. Ultras sind Vorbilder, sie wollen mit allem, was sie tun, ein Plus für den Verein sein und ihm nicht schaden.“

Kein Alkohol, keine Randale
Stolz, ‚hokori‘, ist das Wort, das in den Fanliedern häufig vorkommt. Und den drückt man so aus: „Wer kann, übernachtet vor einem Match (auswärts und zuhause) vorm Stadion, um seine Verbundenheit mit Gruppe und Team zu zeigen. Man randaliert nicht, verklebt seine Aufkleber nicht wild, trinkt vor und während des Spiels keinen Alkohol und säubert danach gemeinsam die Tribüne. Sobald der Torwart den Rasen betritt, wird das Team angefeuert – bis zum Ab­pfiff oder Umfallen ... Nie wird während des Spiels die eigene Mannschaft ausgebuht; fast nie gibt es Schmähgesänge. Manchmal begrüßen einen die gegnerischen Fans sogar mit lokalen Speisen.“

Es ist eine Gänsehaut-Stimmung, schwärmt der Doppel-Fan, der fließend Japanisch spricht. Er findet, dass das Publikum auffallend jung und weiblich ist. Ach ja: Polizei? Ist natürlich im Stadion. Ein Ordnungshüter reicht in der Regel.

Held Benjamin
Hoffen und enttäuscht werden: Leiden gehört zum Fansein, auch in Japan. „Kashiwa schickt mich an meine Grenzen, in vielerlei Hinsicht“, stöhnt ‚Held Benjamin‘ – so haben ihn die Ultras getauft. Kashiwa ist aus der Asian Champions League ruhmlos ausgeschieden, und auch in der J-League – man ist noch mitten in der Saison – will oft genug das Runde nicht ins Eckige. Weil das Glück fehlt und „insgesamt die Einstellung der Mannschaft nicht stimmt.“ Nicht so bei den Ultras: „Fast zwei Monate lang gab es alle drei/vier Tage ein Spiel. Bei den Entfernungen hier bedeutet ‚auswärts‘ oft: Inseln, die über 1.000 km entfernt sind. Das mitzumachen, geht körperlich und finanziell an die Substanz.“

Und jetzt die WM. Doch die – man mag es kaum glauben – wird Benjamin Rabe nur am Rande verfolgen. „Die Anstoßzeiten sind katastrophal: Deutschland spielt meist um drei Uhr früh, Japan um Mitternacht.“ Für den Doktoranden gibt es wichtige Gründe, ausgeschlafen zu sein: Er hat einen Konferenzvortrag vorzubereiten und organisiert eine große Veranstaltung in der deutschen Botschaft. Sein Fußball-Sommer startet später: „Wir aktiven Fans werden gemeinsam die grauen Wände unseres Stadions streichen. Gelb.“ So geht hokori. (ubo)

 

Zur Person

Benjamin Rabe (28), in Zittau geboren, verbrachte seine Jugend in Wolfsburg und studierte in Braunschweig und an der UDE. Nach seinem Master in Ost­asienwissenschaften wurde er 2016 ins UDE-Graduiertenkolleg Risk and East Asia aufgenommen. Seither lebt er die Hälfte des Jahres in Tôkyô. Rabe promoviert über regionale Inno­vationscluster in Japans Hightech-Industrie und deren Zusammenarbeit mit deutschen Partnern.

Er ist Vorsitzender des Fanclubs Just Wob des VfL Wolfsburg und Mitglied bei Taiyô Komuten, den ‚Ultras‘ des japanischen Erstligisten Kashiwa Reysol. Neben Fußball hat er eine zweite Leidenschaft: Vulkanologie.

Im Bild (oben): Benjamin Rabe, unschwer an seiner Wolfsburg-Mütze zu erkennen, gibt im Stadion von Kashiwa Reysol mal wieder alles. Foto: privat

 

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