© Karin Gaesing / Jana Herold

Als Feldforscherin in Afrika

Ess ich nicht, gibt´s nicht

  • von Birte Vierjahn
  • 15.08.2019

Was kochen wir heute?, fragt in den ärmsten Gebieten der Welt niemand. Mehr als Getreidebrei ist hier Luxus. Wer als Forscher*in in den Dörfern südlich der Sahara arbeitet, darf zudem kein Rosinenpicker sein. 

„Sieht aus wie gekochte Handtasche. Aber mit scharfer Sauce?“ Dr. Karin Gaesing erinnert sich an die Scheibe Boa constrictor, die ihr einst in Liberia serviert wurde. „Ehrlich, das war richtig lecker!“ Doch nicht immer hat die Mitarbeiterin des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) Glück im exotischen Essens-Roulette. Wer aber Feldforschung in Afrika und Asien betreibt, kann natürlich nicht auf Schnitzel und Pommes setzen.

Nippen am Begrüßungswasser

Ein Dorf im westafrikanischen Burkina Faso. Die Straße aus rotem Sand führt zu einem Dorf aus strohgedeckten Hütten. Jana Herold, Kollegin von Karin Gaesing am INEF, wird von lokalen Mitarbeitern begleitet. Sie hört das Scharren von Ziegen und Eseln, die sich vor der trockenen Hitze in den Schatten geflüchtet haben. Schon läuft das Dorf zusammen, denn der Alltag ist nicht sonderlich abwechslungsreich, und hier passiert etwas! In einem Topf geht Begrüßungswasser herum; darin ein Becher, der weiter­gereicht wird. „Damit wir nicht direkt krank werden, nippen wir nur daran“, erklärt die 33-Jährige.

Sie kann und muss diese Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die lokale Bevölkerung hat hingegen kaum eine Wahl: Arme-Leute-Essen ist eintönig, besteht in Burkina Faso oft aus Maisbrei mit einer Sauce aus Baumblättern und vielleicht etwas Fisch oder Fleisch. Dazu gibt es Wasser oder Dolo, ein traditionelles Hirsebier. „Zu sagen ‚Das mag ich nicht‘, kann man sich nicht leisten“, berichtet Gaesing. „Aber so eine Situ­ation gibt es kaum, weil es selten etwas neu zu probieren gibt.“

Kaum fruchtbares Land

Nach dem Willkommenstrunk kann die Arbeit beginnen: Burkina Faso liegt am Rand der Sahelzone. Aufgrund der fortschreitenden Wüstenbildung gibt es nur wenig fruchtbares Land. Traditionell legen Bauern daher Stein­reihen auf ihre Äcker, um Regenwasser auf dem Feld zu halten. Doch das Material hierfür liegt nicht herum, muss vielmehr im Steinbruch von den Bauern selbst behauen und zum Feld transportiert werden.

Eine Hilfsorganisation veranstaltete also eine Fortbildung zum Bau der Reihen und stellte einen LKW für den Transport der Brocken. „Unser Forschungsauftrag ist es, solche Projekte auf ihren Erfolg und ihre Armutswirkung hin zu prüfen. Hier war es eine einmalige Investition, die den lokalen Bauern den Anstoß gegeben hat, alles Weitere in der Gruppe, aber eigenständig zu organisieren“, so Gaesing. „Nachhaltig und effizient, so soll es sein.“

Ein anderes Soforthilfe-Beispiel für ärmste Menschen ist ein im Norden Kenias initiiertes soziales Sicherungsprogramm. Hier erhalten die notleidendsten Haushalte der ärmsten Counties alle zwei Monate finanzielle Unterstützung. Bei manchen reicht es gerade aus, um über die Runden zu kommen. Andere schaffen es, ein bisschen zur Seite zu legen und sich etwas aufzubauen. Auch hier urteilte das INEF: ein gelungenes Beispiel für die Direkthilfe.

Kochkurs neben dem Gemüsestand

Dabei ist Ernährungssicherung das A und O aller Hilfsprojekte. Drei Aspekte sind dafür wesentlich: Nahrung muss verfügbar sein (1) und zugänglich (2), das heißt bezahlbar und in der Nähe angeboten. Am schwierigsten zu beeinflussen ist die Qualität der Nahrung (3), dazu gehören sauberes Wasser und möglichst abwechslungsreiches Essen. „Es gibt Ernährungsberatung, die oft mit Kochkursen für Frauen und Männer kombiniert wird“, betont Herold. „Um möglichst viele zu erreichen, setzt man dazu auf die Markttage und baut das Equipment dort auf, wo es gut zu sehen ist.“ Dennoch bleibt armen Haushalten auch mit diesem Wissen nur wenig Spielraum, die Kost zu variieren.

Etwas Okrasauce zur Riesenschnecke?

Manchmal führen Hilfsprojekte neue Feldfrüchte ein, weil sie unter den gegebenen Voraussetzungen besser wachsen oder einen besseren Nährwert bieten. Gaesing selbst hat sieben Jahre lang in Äthiopien gewohnt und erinnert sich: „Dort haben wir in einem Projekt Kartoffeln vorgestellt. Die kann man so lange im Boden belassen, bis man sie braucht. So vergammeln sie nicht, und es gibt auch kein Lagerproblem.“ Die örtlichen Bauern integrierten sie sofort in die Speisetra­ditionen des Landes: Die Knolle wird dort mit einem scharfen Dip ge­gessen, deutsche Salzkartoffeln würde man wohl als ziemlich fade empfinden.

Als Delikatesse hingegen gilt in vielen Ländern südlich des Äquators die Afrikanische Riesenschnecke, Achatina. Doch bei Karin Gaesing hat die männerhandgroße Molluske keine Chance: „Das ist mein Tabu. Das esse ich keinesfalls.“ Als ein Mitarbeiter in Ghana ihr morgens stolz eine gefangene Ratte präsentierte, verzichtete sie ebenfalls auf das Mittagessen. Auch Jana Herold macht lieber einen Bogen um einige lokale Spezialitäten: So gehören frittierte Riesenheuschrecken – und riesig ist hier wörtlich zu nehmen – nicht gerade zu ihren Favoriten.

Sauce kilomètre

Gombo-Sauce ist eine weitere Zutat, die sie weniger gerne auf dem Teller hat. Diese wird aus Okra­schoten gekocht, die eine schleimige Substanz abgeben, und ist grün-braun. Wegen ihrer endlos langen Fäden wird Gombo in der Elfenbeinküste auch ‚Sauce kilomètre‘ genannt.

Ansonsten essen die beiden in Afrika, was auf den Tisch kommt, Ansprüche stellt hier niemand. Anders zu Hause. „Essen ist immer politisch“, sagt Herold. „Jede Kaufentscheidung hat Konsequen­­zen – das nehmen wir als Konsumenten oft nicht wahr.“ Denn mit den staatlich subventionierten Agrarprodukten aus Europa kann ein afrikanischer Kleinbauer nicht mit­halten. Seine Erzeugnisse sind zu teuer, er bleibt darauf sitzen. In Europa ist Hähnchenbrust sehr beliebt, der Rest der Tiere wird billig in Afrika verkauft. „Das zerstört lokale Existenzen.“ Fairtrade-Produkte sehen beide daher als einen Schritt in die richtige Richtung an. „Löhne und Arbeitsbedingungen sind wirklich besser“, ist ihre Erfahrung. Und auch wenn es schwarze Schafe in der Branche gebe, sorge allein die Nachfrage nach fairen Produkten für mehr Marktanteile.

Kaum Auswahl in Restaurants

So hat die Arbeit mit ärmeren Menschen bei beiden Frauen den Blick auf Essen und auf das Leben an sich verändert: „Man denkt immer nur an die körperlichen Auswirkungen von Mangelernährung“, so Gaesing. „Aber sie beeinflusst auch die mentale Leistungsfähigkeit, die ganze Person, das war mir zuvor nicht so klar.“ Herold wiederum empfindet das einfachere Leben in den ländlichen Regionen Afrikas auch als bereichernd. „Man lernt die Vielfalt an Nahrung, die uns im Globalen Norden zusteht, wieder mehr zu schätzen.“ Auf der anderen Seite muss man in Restaurants in Burkina Faso oft keine Entscheidung treffen: Es gibt schlicht keine große Auswahl an Gerichten. „Das hat auch mal etwas Befreiendes.“ Selbst wenn es Gombo gibt.

 

Hilfe für die Ärmsten
Das Projekt ‚Wege aus extremer Armut, Vulnerabilität und Ernährungsunsicherheit‘ des INEF wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.

Innerhalb der Sonderinitiative ‚Eine Welt ohne Hunger‘ sollen Empfehlungen für die deutsche staatliche Entwicklungshilfe aufgestellt werden, um die am stärksten von Armut und Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen
besser zu erreichen.

Dazu führten die Mitarbeiter*innen des INEF-Projekts intensive Feldforschungen in Äthiopien, Burkina Faso, Benin, Kenia und Kambodscha durch.

 

Zur Person:
Karin Gaesing (linkes Bild, M.) ist Geographin und promovierte Raumplanerin. Ihre Expertise u.a. in Regionalentwicklung und Landnutzungsplanung führt sie seit 30 Jahren immer wieder nach Afrika und Asien. In allen Entwicklungsstrategien ist der 60-Jährigen die Gleichberechtigung von Frauen besonders wichtig.

Die 33-jährige Jana Herold (linkes Bild, r.) hat einen Master in Development Economics and International Studies. Am INEF forscht sie u.a. zu Ernährungssicherung und ländlicher Entwicklung. Dazu war sie bereits mehrfach in Burkina Faso.

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