Themenschwerpunkt: Alles in Bewegung

Und jetzt noch dreimal um den Block

  • von Katrin Koster
  • 29.04.2016

Ein Halbmarathon hat 33.488 Schritte und ist ein guter Anfang. „Dieses Wochenziel kann jeder schaffen, auch wenn er mit dem Auto zur Arbeit fährt“, betont Dr. Aysegül Dogangün. Wochenziel? Die Wissenschaftlerin meint nicht das Training für den Wettkampf, sondern die tägliche Bewegung. Sie baut technische Systeme, die das Aktivsein fördern.

Mindestens 10.000 Schritte sollten wir täglich machen. Mal eben zur Toilette, 200. Zum Drucker am anderen Ende des Flurs, 150. Dogangün blickt aus dem Fenster ihres Büros im LE-Gebäude: „Bis zur Mensa und zurück laufe ich etwa 2.000 Schritte, inklusive Treppen.“ Vor allem draußen kommt also einiges zusammen – auch bei Schreibtischtätern.

Woher die Informatikerin das so genau weiß? Move My Day ist eine App, die das verrät. Mitarbeiterin Katja Herrmanny hat sie entwickelt. Sie gehört zu der sechsköpfigen Gruppe PAnalytics (Personal Analytics), die praktische Helfer für die Generation 50+ entwirft, um deren Lebensstil zu verbessern.

Über das Smartphone wird anonym ohne GPS-Signal erfasst, wie viel sich jemand bewegt. Aus dem Durchschnitt ergibt sich dann eine persönliche Empfehlung, ein Wochenziel. Herausfordernd, aber nicht zu hoch, damit man sich gesünder und kräftiger fühlt – und zufriedener. Die Wissenschaftler/innen werten aus, wie motivierend die Tipps wirken.

Innerhalb eines Jahres wurde Move My Day über 3.000 Mal heruntergeladen. Überraschenderweise war mehr als die Hälfte der Interessierten über 50. Genau die Zielgruppe des Projekts. „Gesundheitsbezogenes Selbstmonitoring ist also nicht nur etwas für junge Sportler, bei denen der Trend begann“, erklärt Herrmanny. Ihr persönliches Wochenziel sind aktuell 65.000 Schritte. Ziemlich viel. Zuletzt hat sie das locker erreicht, da sie gerade aus dem Aktivurlaub kommt – was natürlich den Durchschnittswert beeinflusst.

Sie weiß, dass Technikaffine den Optimierungs­programmen weniger skeptisch begegnen. Doch auch Sofakartoffeln lassen sich überzeugen, wenn sie sehen, was ihnen das persönlich bringt. Bei höherem Alter und schwindender Gesundheit ermöglichen die digitalen Helferlein ein langes Leben im eigenen Zuhause. Denn sie fördern Prävention.

Intelligente Waagen oder Blutdruckmesser gibt es schon, doch muss man die Werte allein interpretieren. Besser ist es, Daten aus unterschiedlichen Geräten und Aktivitäten zu kombinieren und automatisch beurteilen zu lassen. Daran arbeiten die Nachwuchsforscher/innen aus der Informatik, Elektrotechnik, Kognitionswissenschaft, den Gesundheitswissenschaften sowie der Philosophie. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz.

Das vernetzte System wäre individuell zugeschnitten und umfasste alle Lebensbereiche, was nicht nur für die Expert/innen, sondern besonders für die Nutzenden interessant ist. „Ich merke vielleicht, dass ich schlecht einschlafen konnte. Liegt es daran, weil ich spät und viel gegessen habe oder das Zimmer zu warm ist?“ Der entscheidende Hinweis kommt von der App.

Geschätzt mehr als 150.000 Apps zeichnen deutschlandweit Gesundheits- und Fitnessdaten auf. Kaum eine macht indes derart alltagstaugliche Vorschläge wie demnächst die Erweiterung von Move My Day: „In Ihrem ­Kalender steht ein Termin um 15 Uhr. Wenn Sie jetzt losgehen und diese schöne Strecke entlang des Waldes wählen, kommen Sie pünktlich, haben 5.000 Schritte zurückgelegt und können das Auto stehenlassen.“ Wird die App so ausgebaut, benötigt sie zusätzliche Angaben wie GPS. Langfristig sollen Eingaben zur Ernährung und zum Wohlbefinden hinzukommen.

Wer will, kann sogar mit einem Brustgurt seine Herzrate erfassen. „Dadurch zieht das System beispielsweise Rückschlüsse, ob die kognitiven Fähigkeiten ausgeschöpft sind oder es gerade ein geeigneter Moment für einen Gesundheitstipp ist“, sagt Herrmanny. Sie promoviert über die automatische und individuelle Anpassung von Health Apps zur gezielteren Motivation im Gesundheitsmonitoring.

Die digital gesammelten Informationen können beim Arztbesuch helfen; sofern das gewünscht ist. Denn jeder soll selbst bestimmen, was mit den Angaben passiert. Datensicherheit als großes Thema: Ein Pate des Projekts ist der Datenschutzbeauftragte von Berlin.

Wie lassen sich Aktivitäten genauer erfassen? Studierende fragen sich das derzeit in einem Seminar. Mit Sensoren ermitteln sie an unterschiedlichen Körper­stellen, ob jemand joggt oder radelt. Das macht die Werte differenzierter.

„Natürlich wissen die meisten, wie sie sich mehr bewegen könnten, doch wir wollen konkreter werden: Was ist ein realistisches Ziel? Und wie kann ich es erreichen?“, so Dogangün. „Ich sehe zum Beispiel abends, dass ich heute wirklich träge war – gleich noch dreimal um den Block, schon stimmt die Bilanz.“ Transparenz beflügelt.

Trotzdem muss das Smartphone nicht ständig dabei sein. Ziemlich schnell entsteht ein Gespür dafür, wie lang tägliche Wege sind. Wer weiß, wie oft er in der Teeküche war, lässt das Handy auf dem Schreibtisch liegen und trägt einzelne Werte nach. Das ist sonst bei kaum einer App möglich.

Ein Aktivitätstracker ist natürlich kein Allheilmittel, das wissen die PAnalytiker. „Bewegen muss man sich schon selbst“, meint Herrmanny. „Es gibt einige, denen eine solche Anwendung überhaupt keinen Mehrwert bringt. Aber eben auch etliche, denen sie hilft, sich zu motivieren.“ Nicht zu unterschätzen sei die Gruppen­dynamik, erzählt Dogangün. „Manchmal schicke ich meinem Mann meinen Tagesrekord, oder wir vergleichen im Team unsere Wochenziele.“ Ihres sind derzeit 50.000 Schritte.

Selbstoptimierung sollte nicht zusätzlich stressen, betonen beide. „Wir möchten Menschen weder bevormunden noch überwachen, sondern Hinweise geben, wie sie gesünder leben können.“ Dazu gehört auch entspanntes Nichtstun.

(Die Nachwuchsgruppe PAnalytics, geleitet von Dr. Aysegül Dogangün, wird für fünf Jahre vom Bundesforschungsministerium mit 2,8 Mio. Euro gefördert.)

Mehr: unter:
www.uni-due.de/panalytics

Katrin Koster

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