© Alexey Muchnik

Ein weiter Weg

Der Syrer Raed Alnafra ist Gasthörer an der UDE.

  • von Daniela Endrulat
  • 14.12.2016

Wer Raed Alnafra fragt, was er sich für die Zukunft wünscht, bekommt die Antwort ohne Zögern: „Ein ganz normales Leben. In Sicherheit. Einen Job, eine Wohnung, Freunde.“ Vor einem Jahr kam der 31-jährige Syrer nach Deutschland – mit nichts als den Kleidern am Leib und einem Rucksack mit den wichtigsten Unterlagen. 25 Tage auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Quer durch Europa. Mit dem Boot von der Türkei nach Griechenland. Bis heute empfindet er es als ein Wunder, dass er alles überlebt hat.

Gemeinsam mit seinem Bruder verließ er die Heimat, fünf Schwestern, Mutter und Vater blieben zurück im Ungewissen. „Wir haben in Homs gewohnt, dort habe ich die Uni besucht.“ Als der Krieg die Großstadt erreichte, zog die Familie aufs Land. Raed hat Elektrotechnik studiert, ihm fehlt zum Abschluss allein die Masterarbeit. Er hofft, sie bald an der UDE schreiben zu können. „Dazu brauche ich aber erst einmal eine Aufenthaltserlaubnis.“ Sein Asylverfahren läuft, wann es zu einer Entscheidung kommt, ist völlig offen. Auch sein Antrag auf Deutsch­unterricht ist noch unbeantwortet. „Rumsitzen und warten gefällt mir gar nicht“, sagt er. Also suchte er sich einen Deutschkurs, der von Ehrenamtlichen angeboten wird. Vier Tage pro Woche lernt er nun engagiert die neue Sprache. Das Interview führt er auf Deutsch. Außerdem besucht Raed ein Sprachcafé. Hier wird abends geredet, gelacht, zugehört.

Die vielen Termine helfen ihm, möglichst wenig Zeit in der Flüchtlingsunterkunft in Duisburg-Neudorf zu verbringen. Mit drei weiteren Männern teilt er sich ein Zimmer. Privatsphäre? Fehlanzeige. „Das ist schon ziemlich anstrengend“, gibt er zu. „Aber ich bin dankbar für die Herzlichkeit, mit der ich in Duisburg aufgenommen wurde.“ Einmal im Monat organisiert die Flüchtlingshilfe Neudorf ein gemeinsames Frühstück für Geflüchtete und Anwohner. „Das ist großartig", zum ersten Mal schleicht sich ein Lächeln in sein Gesicht. „So habe ich Freunde gefunden.“ Sie helfen ihm bei Behördengängen, im Alltag.

Bei einem der Frühstückstreffen hat er auch erfahren, dass er als Gasthörer an die UDE kommen kann. Fünf Seminare der Ingenieurwissenschaften verfolgt er nun, schafft es so, an sein Studium anzuknüpfen. „Das ist schon eine Herausforderung, aber ich lerne dadurch nicht nur Inhalte, sondern auch die deutschen Fach­begriffe.“ Ein Praktikum bei thyssenkrupp Automotive Systems hat Raed bereits absolviert. Mit Erfolg: in Kürze ist ein zweites geplant. „Mein Chef dort hat gesagt, dass ich unbedingt wiederkommen soll.“

Die wenige Freizeit, die noch bleibt, nutzt der zurückhaltende Syrer, um die deutsche Kultur näher kennenzulernen. Begeistert ist er von den Duisburger Philharmonikern. Wann immer diese Karten für Flüchtlinge vergeben, ist er dabei. Egal, was auf dem Programm steht. „Musik ist wichtig. Sie entspannt mich, gibt mir Ruhe. Gerade klassische Werke.“

Und die deutsche Küche findet er gut. Sein Lieblingsessen? „Apfelkuchen“, kommt die Antwort aus tiefstem Herzen. Wieder ist es da, das seltene Lächeln. Auch wenn sich Raed inzwischen in Duisburg wohl fühlt – in Gedanken ist er immer in Syrien, bei seiner Familie. Irgendwann aber wird der Krieg vorbei sein. Dann möchte er zurück. „Und die Heimat wieder aufbauen.“

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