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Der Deutschen liebstes Kind

Mensch, Auto!

  • von Ulrike Bohnsack
  • 15.12.2017

Es gibt Leute, die finden ihr Auto sexy; nicht wenige geben ihm einen Namen, viele waschen es wöchentlich – mit Hingabe. Das Auto ist, wie kaum etwas sonst, ein Symbol. Es steht für Individualität, Wohlstand, Unab­hängigkeit und Fortschritt, um nur einiges zu nennen. Es macht sogar unsere Sprache bildhafter: im Job Gas geben, seine Reaktion bremsen oder die Klimaziele vor die Wand fahren... „Was gemeint ist, versteht jeder, auch wenn das eine mit dem anderen auf den ersten Blick eigentlich nichts zu tun hat“, sagt Professor Rolf Parr.

Auto und Körper verschmelzen
Kollektivsymbole nennt der Literatur- und Medienwissenschaftler es, wenn Bildelemente aus einem alltagsnahen Bereich herangezogen werden, um einen anderen zu veranschaulichen. Man kann mit ihnen komplexe Informationen bündeln, weshalb sie auch im Journalismus und von der Politik gerne benutzt werden. „Von den etwa 100 Symbolen, die aktuell relevant sind“, so Parr, „werden etwa 60 bis 70 häufig verwendet.“ Ganz weit vorne sind Fußball (Beispiel: Eigentor für den Minister) und alles, was mit technischer Mobilität zu tun hat: Flugzeug (Wirtschaft: Erwartungen im Sinkflug), Zug (Eine Region auf dem Abstellgleis) und eben das Auto.

Mensch und Vehikel gehen dabei eine symbio­tische Beziehung ein. Parr findet dafür schöne Beispiele aus Film und Literatur. So lässt der Journalist und Schriftsteller Erich Maria Remarque schon in den 1920ern Auto und Körper verschmelzen: In seinen Texten geht der Kolbenschlag des Motors in den Herzschlag des Fahrers über; der hat sein Gefährt im Griff und damit gleichzeitig sich selbst. „Von dieser Symbiose leben später auch TV-Serien wie Raumschiff Enterprise oder Flugzeug-Katastrophenfilme: Der Commander darf die Kontrolle nicht verlieren, weder über sich noch über die Technik. Diese Vorstellung ist typisch für westliche Gesellschaften.“

Tatort-Kommissare und ihre Autos 
Zeige mir deinen Wagen, und ich sage dir, wer du bist: Nach dieser Devise hatten Autos im ‚Tatort‘ lange Zeit eine dramaturgische Funktion, meint Rolf Parr. „Sie waren das Charakter-Pendant zu den Kommissaren: Freddy Schenk fuhr ausladende US-Schlitten, Thorsten Lannert einen metallicbraunen Porsche, Mario Kopper einen Fiat 130. Klaus Borowski gab seinem alten, ‚mein Brauner‘ genannten VW-Passat später sogar den Gnadenschuss – wie einem treuen Pferd.“ Leider seien die Macher der Krimi-Reihe von diesem Stilelement wieder abgekommen, bedauert der Wissenschaftler. Anderes ist hingegen geblieben: Das Auto verknüpft Handlungsräume. „Dadurch kann man den Ort wechseln, ohne das Geschehen zu unterbrechen. So werden die Gespräche häufig im Büro am Telefon begonnen und im Wagen fortgesetzt.“

Die deutsche Wiedervereinigung sei ein Paradebeispiel dafür, wie das Auto als Kollektivsymbol gesellschaftlich funktioniere, sagt Parr: „Nicht nur zwei verschiedene politische Systeme, auch ihre unterschiedlichen Symboliken mussten seinerzeit vereint werden; und das Auto war eines der wenigen Elemente, das Ost wie West besaß.“

Wiedervereinigung: Sprung des Trabis
Auch in der DDR verband man damit Freiheit, wenngleich die individuelle Selbstbestimmung sehr beschränkt war. „Ich konnte mich immerhin entscheiden, ob ich nach Erfurt oder nach Cottbus fahre. Und ob ich die Landstraße oder Autobahn nehme.“ Folglich wurde die Wiedervereinigung als Sprung eines Trabis über die Berliner Mauer gezeigt – „sozusagen: Mit dem Vehikel der Freiheit in die Freiheit“.

War der Trabi auch ein Symbol des DDR-Alltags, als Zeichen für Fortschritt und Planerfüllung diente er im real existierenden Sozialismus dann doch nicht. Da nahm man lieber schräg nach oben zeigende Raketen. Im Westen hingegen hatte man für den Arbeiter- und Bauernstaat ein anderes Bild übrig: ein Auto mit viereckigen Rädern. „Es fuhr“, so Rolf Parr, „aber eben rumpelig.“

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Malerei an der East Side Gallery in Berlin: Der Trabi durchbricht die Mauer. Foto: picture alliance/Bildagentur-online/Schoening

 

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