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Wie sich Fußball verändert hat

Der springende Punkt

  • von Joachim Prinz und Daniel Weimar
  • 21.06.2018

… ist der Ball, meinte Trainerlegende Dettmar Cramer einst. ... ist das Geld, möchte man heute widersprechen. Was sich im deutschen Fußball in den letzten 30 Jahren verändert hat, erklären die Sportökonomen Professor Dr. Joachim Prinz und Dr. Daniel Weimar.

Spielergehälter
Seit es die Bundesliga gibt, verdienen Fußballprofis überdurchschnittlich. In den letzten 30 Jahren sind sie sogar überproportional reicher geworden. Außer einem Gehalt verdienen Spieler bei jedem Wechsel mit. Verglichen mit normalen Arbeitnehmern – ihren Fans – ist ihr Einkommen geradezu explodiert. Das ist nicht nur gefühlt so. Ein Beispiel: 1990 lag die Summe für die Top 3-Transfers bei 18 Millionen Euro (Klinsmann, Koeman, Waddle), wohingegen 2016 die höchsten drei Ablösezahlungen zusammen 202 Millionen Euro ausmachten (De Bruyne, Di María, Sterling). Eine gigantische Steigerung von 1.022 Prozent! Dagegen wuchs der Nettodurchschnittsverdienst in unserem Land nur um 54 Prozent: von 14.062 Euro auf 21.636 Euro (Lohnsteuerklasse 1). Selbst der DAX (+397%), das Bruttoinlands­produkt (+96%), der Benzinpreis (ca. +100%) oder die Zuschauerzahlen in der 1. Bundesliga (+114%) sind nicht annähernd so stark gestiegen.

Zwar verdienen Spieler heute mehr, doch ist auch der Leistungsdruck gewachsen. Anteil daran hat besonders die Digitalisierung des Spiels, welche dem Trainer- und Managerteam zahlreiche Daten zu Laufwegen, zur Fehlpass­quote oder zum Puls liefert. Übrigens: Auch das Honorar der „ehrenamt­lichen“ Bundesligaschiedsrichter ist deutlich geklettert – um 291 Prozent: Anfang der 1990er gab es pro Spiel umgerechnet 1.278 Euro, aktuell sind es 5.000 Euro plus Grundgehalt von 30.000 Euro pro Saison.

Unternehmen statt Verein
Waren 1988 noch alle Erst- und Zweitligisten eingetragene Vereine, so finden sich jetzt gewinn­orientierte Strukturen: Von den 36 Clubs haben aktuell 21 ihre Lizenzspielerab­teilung in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert. Weitere fünf werden in den kommenden Monaten nachziehen. Somit verbleiben unter den Erstligisten wohl nur noch der SC Freiburg und der FC Schalke 04 als klassische e. V.

Sind Fußballteams ‚Siegmaximierer‘ oder ‚Gewinnmaximierer‘? Lange war die Sportökonomie sich hierüber uneinig. Die Frage dürfte damit geklärt sein. Denn mit einer Umfirmierung verändern sich zwangsläufig die Ziele und damit das Denken in den Clubführungen. Nicht von ungefähr machen die Fans seit Jahren Druck gegen die zunehmende Kommerzialisierung des Sports. Externe Investoren sind im deutschen Fußball jedoch bisher rar, was vor allem an der 50+1-Regel liegt. Danach muss der Stimmenanteil an einer Lizenzspielerabteilung mehrheitlich in der Hand eines eingetragenen Vereins sein.

Fahrstuhlmannschaft
Dass Geld Tore schießt, stimmt vor allem in den unteren Ligen. Ein großzügiger Mäzen oder kapitalkräftiger Sponsor reicht oft aus, damit ein Team den Sprung in den semi- und vollprofessionellen Fußball schafft. So leicht der Aufstieg ins Profigeschäft ist, so schwer ist es, dieses Niveau zu halten. Gerade nach einem Abstieg springen Geldgeber schnell ab, und Vereine geraten mitunter in eine groteske Abwärts­spirale. Beste Beispiele sind die ehemaligen Erstligisten FC 08 Homburg, SSV Ulm und Alemannia Aachen. Diese können aktuell nur noch viert- oder fünftklassigen Fußball bieten. Die Fluktuation zeigt sich auch hieran: Von den 38 Proficlubs des Jahres 1988 sind aktuell nur noch 19 erst- bzw. zweitklassig. Blau-Weiß Berlin, Bayer 05 Uerdingen, SG Union Solingen und der BVL 08 Remscheid existieren in dieser Form gar nicht mehr.

Nachwuchsausbildung
Sie hat sich grundlegend reformiert. Auslöser war eine Pleite mit Ansage: Schon die WM 1998 verlief für die deutsche Elf enttäuschend; und als sie bei der EM 2000 in der Vorrunde ausschied, war das der Gipfel einer antiquierten und unstrukturierten Jugendausbildung. Nicht nur beim DFB. Viele Bundesligisten hatten lange auf billige Transfers aus dem Ostblock gesetzt und jungen Spielern keine Chance gegeben. So fehlte irgendwann ein hochwertiger Unterbau. Außerdem waren allein die Vereine für die Jugendausbildung verantwortlich. Mit der Gründung der Deutschen Fußball Liga DFL im Jahr 2000 jedoch wurde der Profifußball verpflichtet, Nachwuchsleistungszentren nach konkreten Vorgaben und Standards zu führen (1. Liga ab 2001, 2. Liga ab 2002). Auf einmal waren die Qualität von Trainingsbedingungen und Jugendtrainer sowie die medizinische und schulische Versorgung reguliert.

Die von oben geschaffene Ausbildungsstruktur und -kultur hat gewirkt: Deutschland ist von einem Fußballimporteur wieder zu einem -exporteur geworden. Seit 2001 hat die Zahl deutscher Spieler in den Bundesligen um zehn Prozent zugenommen. Die Jugendarbeit hat Weltklassespieler hervorgebracht, beispielsweise Thomas Müller, Mats Hummels, Manuel Neuer oder Mesut Özil.

Eventfans
Wer vor 30 Jahren ins Stadion ging, brannte in der Regel für seinen Verein. Heute spricht man dagegen vermehrt von Eventfans oder Konsumenten. Die Gründe hierfür sind vielfältig, doch zwei stechen heraus: Erstens wurden in den vergangenen Jahren die Stadien vergrößert, wodurch auch mehr Publikum kam – durchschnittlich 44.000 (2018) gegenüber 19.000 (1988). Damit nicht Plätze leer blieben, wurde verstärkt um Familien und um Kundengruppen geworben, die weniger emotional involviert sind. Auch locken moderne Arenen eine andere Fanschaft an als noch 1988, als nichtüberdachte Stehplätze normal waren.

Zweitens haben sich die Eintrittspreise überproportional entwickelt, weshalb das Eventklientel die 'echten' Fans langsam ablöst. Kostete 1988 beispielsweise ein Stehplatz für die Partie Hannover 96 gegen 1. FC Köln knapp 3,50 Euro, so muss der Fan dafür jetzt schon 14 Euro zahlen. Das sind 300 Prozent mehr. Hingegen sind die Gehälter im Schnitt nur um 60 Prozent gestiegen. Da verschiebt sich sozio-ökonomisch beim Publikum einiges.

Medien und Internationalisierung
Waren deutsche Spiele zu Beginn der 1990er ausschließlich an TV-Übertragungen gebunden, bieten sich nun weltweit für Fans viele Möglich­keiten, den deutschen Fußball zu konsumieren. Allein deshalb, weil Spiele einfacher und billiger in die Welt ausgestrahlt und somit vermarktet werden. Über digitale Kanäle wie YouTube lassen sich Bewegtbilder einfach speichern. So können Lieblingsszenen beliebig oft abgerufen werden – früher hätte man dafür einen Videorekorder gebraucht und das Spiel zeitgleich aufnehmen müssen.

Soziale Medien sind ein starker Hebel: Früher wurden Spieler außerhalb Deutschlands meist nur während internationaler Turniere und im Panini-­Album wahrgenommen. Jetzt haben die Fans weltweit über Facebook, Twitter, YouTube und Instagram teil an den Neuigkeiten zu ihren Stars. Weil man einfach an Informationen kommt, steigt die Nachfrage nach deutschem Fußball auch außerhalb Europas. Nicht verwunderlich also, dass der FC Bayern München bereits Sitze in New York und Shanghai hat. Mitunter werden Spieler aus ausländischen Ligen wie Asien nur verpflichtet, um die Sichtbarkeit im dortigen Markt zu erhöhen. Aus einem regionalem ‚Produkt‘ ist somit ein internationales ‚Produkt‘ erwachsen – mit all seinen Chancen und Risiken.

Regeländerungen
In den vergangenen Jahren prägten verschiedene Änderungen und Reformen den Fußball. Erst 1991 wurde etwa die Gelb-Rote Karte eingeführt, um das Foulspiel weiter zu reduzieren. Ab der Saison 1995/1996 gab es drei Punkte statt zwei für einen Sieg. Damit wollte man den Anreiz für einen Sieg erhöhen und unattraktive Unentschieden reduzieren. Bislang ist sich die Sportökonomie jedoch uneins, ob das gewirkt hat. Auch auf der Bank gab es Bewegung: Bis 1994 konnte lediglich zweimal gewechselt werden, kurze Zeit später waren es dann zwei Feldspieler und ein Torwart; seit der Saison 1995/1996 gilt die bis heute gültige Regel von drei Auswechslungen.

Die ökonomisch bedeutsamsten Änderungen sind das Bosman-Urteil und das Financial Fair Play der UEFA. Durch das Bosman-Urteil können Fußballer seit 1996 bei Vertragsablauf ablösefrei wechseln. Die Spielermobilität innerhalb der EU wurde dadurch klar gesteigert. Das Financial Fair Play gibt es seit 2011. Es soll dafür sorgen, dass europäische Vereine nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen. Externe Kapitalinjektionen sollen reduziert werden. Ob sich dadurch wirklich die Ausgabenkultur europä­ischer Clubs ändern wird, ist jedoch sehr fraglich.

Diversität
Auch die hat sich in 30 Jahren sichtbar erhöht, wie folgende Beispiele zeigen:

Ausländische Kicker: Ihr Anteil stieg von 11 Prozent in der Saison 1987/1988 auf aktuell 48 Prozent (ohne Fußballinländer); denn Spieler sind mobiler geworden, und die Ausbildung im Ausland hat sich verbessert.

Frauenfußball: Sein Aufstieg hat den deutschen Fußball ebenfalls nachhaltig verändert. Während vor 30 Jahren noch nicht einmal eine Bundesliga für Frauen existierte, haben sie heute sogar eine Champions League. Registrierte der DFB 1975 zirka 215.000 weibliche Mitglieder, so stieg ihre Zahl auf etwa 616.000 im Jahr 2000 und lag 2017 bereits bei 772.000 Spielerinnen im Erwachsenenbereich. Auch das Schiedsrichterwesen ist zum Glück nicht mehr frauenfrei – lang hat’s gedauert: Als Pionierin durfte Gertrud Gebhard Anfang der 1990er ein Damen-Länderspiel und 1995 das erste Herren-Bundesligaspiel pfeifen – an der Linie. Zwölf Jahre später war es Bibiana Steinhaus, die als Hauptschiedsrichterin zunächst ein Männer-Zweitliga-Match leitete, 2017/2018 feierte sie ihre Premiere dann auch im Oberhaus. Weibliche Unparteiische im Männerfußball sind deutlich akzeptierter, wenngleich noch nicht normal geworden.

Fußballverbundene Sportarten: Sie fördert der DFB vermehrt. Gerade Futsal und Beachsoccer sind in den vergangenen zehn Jahren spürbar gewachsen; sie werden künftig das Bild des deutschen Fußballs mitprägen.

Über die Autoren: Prof. Dr. Joachim Prinz; Dr. Daniel Weimar

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