Dr. Christian Feld im Labor
© UDE/Frank Preuß

Der Flussdoktor

Nur Wasserasseln und Zuckmückenlarven im Bach statt überbordender Vielfalt? Dann geht es ihm schlecht. Birte Vierjahn spricht mit Privatdozent Dr. Christian Feld über das von seinem Team entwickelte Online-Werkzeug für Fachleute. Es benennt Defizite und Therapien und kann sogar in die Zukunft schauen.

Wie schließt Ihr Werkzeug aus Insektenlarven und Kleinkrebsen, wie es einem Gewässer aus ökologischer Sicht geht?

Unsere biologischen Proben erzählen uns, was wir wissen müssen. Zum Beispiel, welche Köcherfliegen, Flohkrebse und Muscheln vorhanden sind. Denn jede Art hat andere Anforderungen an ihren Lebensraum. Aus der Veränderung der biologischen Vielfalt und der Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften lassen sich daher Hinweise ableiten auf ungünstige Bedingungen im Gewässer, zum Beispiel eine zu hohe Wassertemperatur, ein zu geringer Sauerstoffgehalt oder Veränderungen der Strömung und Beschaffenheit der Bachsohle.

Dann erkennt jemand vom Fach aus diesen Daten, was nicht in Ordnung ist ...

Genau. Unser Werkzeug hilft bei der Ursachendiagnose: Sind die biologischen Symptome des Gewässers in die Onlinemaske eingetragen, errechnet das Programm die Wahrscheinlichkeit möglicher Ursachen, zum Beispiel fehlende Beschattung oder Überdüngung, und ordnet diese dann hierarchisch ein. Aufbauend darauf schlägt es mögliche Maßnahmen vor, um die Qualität des Lebensraumes im Gewässer wieder zu verbessern. Das funktioniert also so ähnlich wie ein Arztbesuch. Erst die Diagnose, dann die Behandlung.

Ihr Tool hilft daher, entstandene Schäden der Gewässerbiologie möglichst gezielt rückgängig zu machen?

Ja. Aber in einem anderen Projekt haben wir es umgedreht: Da haben wir uns die Umweltbelastungen von Gewässern angesehen, um auf deren Grundlage die Wahrscheinlichkeit einer schädlichen Veränderung der Gewässerbiologie abzuschätzen. Wir können damit also biologische Veränderungen prognostizieren. Mit „schädlich“ meinen wir dabei zum Beispiel den Verlust von Biodiversität oder auch von Ökosystemleistungen. Das sind Leistungen, die ein Ökosystem für uns Menschen bereitstellt. Bäche und Flüsse bieten uns Nahrung, zum Beispiel in Form von Fischen, und sie helfen durch Selbstreinigung bei der Trinkwassergewinnung. Die Auen der Gewässer tragen zum Klimaschutz bei, indem sie in großem Stil CO2 speichern.

Diagnose- und Prognosetool zusammen helfen uns dann, die besten Verbesserungsmaßnahmen nicht nur zu identifizieren, sondern zudem auch noch deren Erfolgsaussichten abzuschätzen.

Ihr Diagnose-Werkzeug wird mit jedem untersuchten Gewässer genauer. Was kann es jetzt, was es zu Anfang noch nicht konnte?

Da hat sich viel getan! Durch die größere Datenbasis wird zum einen die Analyse genauer, weil sie die Variabilität der Natur besser abbilden und in die Diagnose einbeziehen kann. Die biologischen Symptome eines Baches können mitunter sehr variabel sein, was beispielsweise den Einfluss von zu starker Sonneneinstrahlung angeht. Da spielt es auch eine Rolle, ob ein Bach im Tiefland oder Bergland fließt oder ob er durch Grundwasser gespeist wird oder nicht. Diese natürliche Variabilität ist dann so etwas wie ein Fehlerbalken in der Mathematik. Je mehr Bäche und Flüsse wir im Tool berücksichtigen, desto besser können wir die natürliche Variabilität abschätzen und bei der Diagnose berücksichtigen.

Zum anderen haben wir bis vor Kurzem nur Insekten, Kleinkrebse, Muscheln und weitere wirbellose Tiere auf der Gewässersohle berücksichtigt. Jetzt haben wir auch Algen mit aufgenommen. Das hängt damit zusammen, dass die Aussagekraft von wirbellosen Tieren manchmal etwas eingeschränkt ist. Einflüsse durch erhöhte Stickstoff- oder Phosphorkonzentrationen lassen sich über Pflanzen viel schneller und genauer diagnostizieren.

Und ganz spezifisch haben wir gerade ein Projekt abgeschlossen mit der Landesanstalt für Umwelt in Baden-Württemberg. Wir haben Diagnosetools speziell für dort vorkommende Bach- und Flusstypen entwickelt: Bäche und Flüsse im Alpenvorraum, Mittelgebirgsbäche und Mittelgebirgsflüsse. Die Diagnosetools haben wir in Workshops zusammen mit regionalen Expertinnen und Experten aufgebaut und feinjustiert. Die Werkzeuge stehen kurz vor der Veröffentlichung und werden hoffentlich bald in Baden-Württemberg eingesetzt, um bei der Planung von Renaturierungsmaßnahmen an Fließgewässern zu helfen. Solche Maßnahmen gibt es natürlich schon seit Langem, nicht nur in Baden-Württemberg. Sie berücksichtigen aber nicht immer die tatsächlich vorliegenden biologischen Probleme und werden mitunter auch schon mal „aus dem Bauch heraus“ geplant. Mit den Diagnosetools wollen wir dazu beitragen, dass sich das ändert.

In welche Richtung möchten Sie Ihr Werkzeug noch weiterentwickeln?

Die Förderung vorausgesetzt, würden wir das gern so ausweiten, dass man diese Diagnose auf verschiedenen Ebenen durchführen kann, zum Beispiel für Nord-Europa oder Süd-Europa. Für ganz Europa wird es schwierig, weil die Ökoregionen so unterschiedlich sind und man daher die Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen nicht einfach übertragen kann. In Südeuropa spielen Änderungen von Wassermenge und Abfluss in der trockenen Jahreszeit zum Beispiel eine große Rolle, in Nordeuropa gibt es dagegen keine trockene Jahreszeit. Aber – um im Mediziner-Bild zu bleiben – wir wollen schon überregional damit arbeiten wie ein Allgemeinmeidziner und dann für spezifischere Dinge zu den Fachärzten gehen und so die Diagnoseebene immer weiter eingrenzen.

In einem TV-Beitrag sieht man Sie durch Bäche waten – über 200 Gewässer haben Sie schon untersucht. Können Sie regionale Unterschiede feststellen?

Ja, regionale Unterschiede gibt es, allein schon wegen der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen. In NRW haben wir zum Beispiel deutlich mehr Niederschläge als im Osten Brandenburgs. Zumindest war das vor 2018 so; dann kamen drei Trockenjahre. Ein anderes Beispiel ist die Geologie: Norddeutschland ist durch die letzten beiden Eiszeiten geprägt, und es dominieren Sande und Kiese in vielen Gewässern. Im Mittelgebirge treten ganz andere geologische Formationen wie Schiefer oder Buntstandstein zutage, die dann zu eher gröberen, steinigen Substraten verwittern und die Gewässersohle prägen. Es gibt natürlich noch viel mehr Kriterien, aber Klima und Geologie, das sind die plakativsten.
Link zum TV Beitrag

Haben Sie regionale Beispiele für ein besonders gesundes bzw. erkranktes Gewässer?

Besonders gut ist im Ruhrgebiet immer etwas schwierig (lacht). Nehmen wir mal die Emscher: Auch wenn sie jetzt offiziell abwasserfrei ist, wird zwar die Wasserqualität besser, aber die Strukturen wie das größtenteils noch immer befestigte Ufer, die betonierte Sohle, der fehlende Schatten, der regulierte Abfluss: Da ist noch Luft nach oben. Aber im mittleren Bereich und im Oberlauf wurde und wird sie mit ihren Nebengewässern bereits strukturell verbessert.

Doch es gibt in der Tat einige gute Gewässer, so zum Beispiel der obere Rotbach zwischen der Grafenmühle in Bottrop und der Sträterei. Das ist der Oberlauf des Baches im Wald, und der ist toll. Das ist ein klassischer Typ eines Sandbaches im Naturzustand.

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