Prof. Thomas Heberer
© UDE/Frank Preuß

Studie zu Chinas Sozialdisziplinierung

Von oben nach unten

  • von Ulrike Bohnsack
  • 07.09.2020

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Das Verhältnis von sozialem Wandel, gesellschaftlicher Disziplinierung und Macht beschäftigt Soziologen seit Max Weber. Sie beschränken sich in ihren Theorien vorwiegend auf europäische Kulturen. Für China gibt es hingegen wenig Ansätze. Einen neuen Versuch, die politischen Prozesse in der Volksrepublik über die Wirtschaftsmodernisierung hinaus zu erklären, bietet Prof. Dr. Thomas Heberer, Politikwissenschaftler und Chinakenner der UDE. Das Ash Center der Harvard Universität hat seine Publikation* veröffentlicht.

Heberer argumentiert, dass Modernisierungsprozesse nicht nur einen ökonomischen, sozialen und politischen Wandel erfordern. Auch die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen müssen sich verändern, was langfristig in eine moderne Gesellschaftsordnung mündet. Dabei geht er von dem in der Geschichtswissenschaft entwickelten Konzept der Sozialdisziplinierung aus.

Um zu analysieren, welche Politik und Instrumente der chinesische Staat für seine Disziplinierungsziele einsetzt, nimmt sich Heberer zunächst historische Prozesse vor. Sein Schwerpunkt liegt dann auf der Xi Jinping-Ära, also der Zeit ab 2012. Fallbeispiele sind u.a. die Moralpolitik des Staates, die seit 2014 laufende Korruptionsbekämpfung und das soziale Kreditsystem, das vom Westen als digitale Totalüberwachung angeprangert wird. Außerdem geht er auf das Bewertungssystem für Funktionäre ein, auf die Zivilisierung von Internet, ethnischen Minderheiten sowie im Zusammenhang mit der Corona-Krise von 2020.

„Der Prozess, die Gesellschaft zu disziplinieren und zu zivilisieren, um die Menschen auf die Modernisierung vorzubereiten, verläuft in China anders als in Europa“, sagt Heberer. „Bei uns spielten neben dem Staat Religion und Kirche eine große Rolle. In China ist die Modernisierung mit staatlichem Handeln und traditionellen Ideen verbunden, die dem Konfuzianismus und anderen großen Weltanschauungen entlehnt sind. Dadurch soll die Entwicklung für das eigene Volk akzeptabler werden und eine Modernität mit chinesischen Zügen entstehen. Der Staat“, so sein Fazit, „ist der Gestalter, Planer und Schlüsselakteur in diesem Prozess, und Disziplinierung wird dabei von oben nach unten praktiziert.“

* Heberer, Thomas: „Disciplining of a Society: Social Disciplining and Civilizing Processes in Contemporary China”. Ash Center, Kennedy School, Harvard University, August, 2020.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Thomas Heberer, Politik und Gesellschaft Chinas, Tel. 0203/37 9-3728, thomas.heberer@uni-due.de

Redaktion: Ulrike Bohnsack, Tel. 0203/37 9-2429, ulrike.bohnsack@uni-due.de

 

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