© Daqing Wang

Neues Experiment vorgeschlagen

Ungleiche Spiegelbilder eines Moleküls

  • von Jennifer Meina
  • 15.09.2021

Ähnlich, wie unsere Hände, können die meisten komplexen Moleküle in zwei Versionen existieren: links- und rechtshändig. Identisch sind sie aber nicht. Wie sich ihr Verhalten auf der Quantenebene unterscheidet, könnte bald untersucht werden – mit Hilfe eines neuartigen Experiments von Wissenschaftler:innen der Universitäten Duisburg-Essen (UDE), Kassel und Marburg*. Ihr Vorschlag wurden nun im Journal Physical Review X veröffentlicht.

Unsere Hände sehen zwar gleich aus, schreiben können wir aber meistens nur mit einer. Ähnlich verhält es sich mit händigen Molekülen – also Moleküle, die sich von ihren Spiegelbildern unterscheiden. Ihre Form ist zwar sehr ähnlich, die Unterschiede in der chemischen Reaktivität und biologischen Funktion der Moleküle sind aber erheblich. Und: Nur jeweils eine Version des händigen Moleküls findet in der Natur Verwendung. Die Forschenden zeigen in ihrer aktuellen Studie, wie ein händiges Molekül gleichzeitig in beide seiner Formen gebracht werden kann.

Das besondere händiger Moleküle: Sie können sich durch einen als „Quantentunneln“ bezeichneten Prozess von ihrer links- in ihre rechtshändige Form umwandeln, erklärt Dr. Daqing Wang, Experimentalphysiker an der Universität Kassel. Während des Tunnelns befindet sich das Molekül in einer sogenannten Quantensuperposition aus beiden Formen – das Molekül liegt gleichzeitig sowohl in seiner rechts- als auch in seiner linkshändigen Form vor. Zur gezielten Erzeugung dieses Zustands haben die Wissenschaftler:innen nun eine neuartige Methode entwickelt. Eine Herausforderung: Die Zeitdauer des Tunnelns kann je nach Molekül deutlich variieren – von länger als dem Alter des Universums bis zu weniger als einer Millionstel Sekunde. In der aktuellen Studie wurde das helixförmige Molekül [4]-Helizen als für Tunnelexperimente geeignet identifiziert, da es im Milli-Sekunden Bereich tunnelt.

Die neue Methode kann nun für weitere Forschungsfragen genutzt werden. Dr. Benjamin Stickler, Quantenphysiker an der UDE, könnte sich vorstellen, dass ein tieferes Verständnis der unterschiedlichen Wechselwirkung eines händigen Moleküls mit seiner Umgebung relevant sein könnte, um etwa die biologische Funktion händiger Biomoleküle wie Aminosäuren besser zu verstehen. „Zum Beispiel könnte man damit kleine Kräfte, die auf links- und rechtshändige Moleküle unterschiedlich wirken, messen und so Modelle überprüfen, die diese vorhersagen. Solche Kräfte sind entscheidend um biochemische Prozesse zu verstehen.“

* Die Arbeit wurde durch den Sonderforschungsbereich SFB 1319 ELCH gefördert.

Stickler, B., Diekmann, M., Berger, R., Wang, D.:Enantiomer superpositions from matter-wave interference of chiral molecules; Phys. Rev. X 11, 031056 (2021);https://journals.aps.org/prx/abstract/10.1103/PhysRevX.11.031056

Im Bild:

Ein chirales Molekül kann zwischen seinen zwei gespiegelten Formen tunneln. Die Forscher machen sich diese Eigenschaft zunutze, um einen Strahl von Molekülen in Quantensuperpositonszuständen herzustellen. Foto: Daqing Wang

Mehr Informationen:

Zur vollständigen Pressemitteilung der Universität Kassel geht es hier.

Zum begleitenden Feature der American Physical Society geht es hier.

Dr. Benjamin Stickler, Quantenphysik, Tel. 0203/379 4753, benjamin.stickler@uni-due.de

Redaktion: Jennifer Meina, Tel.0203/379 1205, jennifer.meina@uni-due.de

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