Schmuckbild
© Zerbor - stock.adobe.com

Monografie zu Klimaromanen

Was kann Literatur leisten?

  • von Jennifer Meina
  • 14.06.2023

Wissenschaftliche Modelle, Grafiken in Fachmagazinen, Interviews im Fernsehen – vor allem Naturwissenschaftler:innen erklären uns den Klimawandel. Doch welchen Einfluss hat die Literatur auf uns? Das haben drei Forschende in einer nun veröffentlichten Monografie untersucht. Mit dabei: Dr. Jens Martin Gurr, Professor für Britische und Anglophone Literatur- und Kulturwissenschaft an der UDE.

Wie kann Literatur zur Klimakommunikation beitragen – und zur Umweltkompetenz allgemein? Welche Rolle spielt Faktenwissen? Welche Rolle spielen die von Texten ausgelösten Emotionen für das Klimabewusstsein von Leser:innen? Fragen, mit denen sich das von der VolkswagenStiftung geförderte Werk „Climate Change Literacy“ beschäftigt.

Die Autor:innen*, Prof. Dr. Julia Hoydis (Universität Klagenfurt), Prof. Dr. Roman Bartosch (Universität zu Köln) und Prof. Dr. Jens Martin Gurr (UDE), widerlegen zunächst zwei gängige Annahmen zur Funktion von Literatur in der Klimakommunikation: Weder funktioniert Literatur, wie häufig angenommen, als alternatives „Transportmittel“ für naturwissenschaftliche Fakten, noch über emotionale Identifikation mit sympathischen Klimaheld:innen oder über Mitleid mit Tieren. Solche Effekte wirken allenfalls kurzfristig, führen aber nicht zu nachhaltiger Einstellungs- und Verhaltensänderung. Prozesse der Wissensvermittlung durch Literatur sind ebenso wie Prozesse der Identifikation deutlich komplexer.

Spiel mit Perspektiven

Die Studie zeigt das Potenzial von Literatur anhand der Diskussion von sieben vieldiskutierten englischsprachigen Romanen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Ein Beispiel ist Ian McEwans 2010 erschienener Roman „Solar“. Protagonist Michael Beard, ein Physik-Nobelpreisträger, ist beruflich schon lange nicht mehr produktiv, sondern lebt von seiner wissenschaftlichen Reputation. Er ist zudem ethisch problematisch – er ist frauenfeindlich, beutet den wissenschaftlichen Nachwuchs aus, ist in seinem Privatleben undiszipliniert und maßlos beim Essen und im Alkoholkonsum. Er entspricht damit gerade nicht den Erwartungen an einen sympathischen „Klimahelden", mit dem Lesende sich gern identifizieren. Auch die Vermittlung von Fakten in Form des in vielen Klima-Romanen vorkommenden „Klima-Vortrags“ wird in diesem Roman ironisch unterlaufen. „Der Autor lenkt den Blick damit nicht auf die reinen Fakten, sondern thematisiert das Wissenschaftssystem gerade in seinen Ambivalenzen und Widersprüchen“, hebt Prof. Gurr hervor. Noch interessanter aber sei der komplexe Prozess der Identifikation: So erkennen Lesende gerade in Beards Verleugnung und Verdrängung von Risiken und in seinem verantwortungslosen Verhalten „im Kleinen“ die eigenen individuellen Schwächen ebenso wie gesellschaftliche und politische Mechanismen der Verdrängung des Klimawandels.

„Vergleichbare Darstellungsstrategien, Mechanismen der Sympathie- und Aufmerksamkeitslenkung und komplexes Spiel mit Perspektiven finden sich in vielen Klima-Romanen“, erklärt Gurr weiter. Die Studie zeigt so, wie Literatur und nicht zuletzt Literaturvermittlung etwa in der Schule einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Klimawandels und zu einem angemessenen Umgang mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen leisten kann.

Die englischsprachige Studie ist als Kurzmonografie kostenlos einsehbar: https://doi.org/10.1017/9781009342032

*Die Autor:innen forschen im Bereich der anglistischen Literaturwissenschaft bzw. der anglistischen Literaturdidaktik und arbeiten seit Jahren im Bereich der Environmental Humanities, der geisteswissenschaftlichen Umwelt- und Klimaforschung zusammen. Das Werk “Climate Change Literacy” ist im Mai 2023 im renommierten internationalen Wissenschaftsverlag Cambridge University Press erschienen. Das Buch gehört zum Vorläuferprojekt des aktuell laufenden und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Britischen Arts and Humanities Research Council und dem österreichischen FWF geförderten Forschungsprojekts „Just Futuresüber kulturelle Modellierungen generationengerechter Klimazukünfte.

Weitere Informationen:
www.cultural-climate-models.org

https://climate-change-literacy.de 

Prof. Dr. Jens Martin Gurr, Institut für Anglophone Studien, Tel. 0201/18 3-3427, jens.gurr@uni-due.de

Redaktion: Jennifer Meina, Tel. 0203/379-1205, jennifer.meina@uni-due.de

Zurück
-------------------------
Post-Views: 7689