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Arbeitspsychologin Gerlmaier im Interview

Homeoffice ist eine Doppelbelastung

  • von Ulrike Bohnsack
  • 27.03.2020

Es fühlt sich ein bisschen an wie Hausarrest, dieses Arbeiten von daheim. Egal, ob man Studierender oder Beschäftigte ist. Wie überlebt man es ohne Koller, immer dieselben Menschen um sich herum zu haben bzw. ganz alleine zu sein? Und das für Wochen?
Ein Gespräch mit der Arbeitspsychologin Dr. Anja Gerlmaier vom IAQ.


Frau Gerlmaier, Sie hatten gerade zum ersten Mal einen virtuellen Kaffeeplausch mit den Kolleg*innen. Wie war’s?
Ich fand es anstrengend; so ein Format muss man wohl erst üben. Man spricht nicht so locker miteinander wie normalerweise. Auch sind wir schnell auf dienstliche Belange zu sprechen gekommen. Das war eigentlich nicht die Idee.

Küche oder Arbeitszimmer: Wo arbeiten Sie?
Ich hocke zum Glück nicht auf dem Sofa mit dem Laptop. Ich habe ein kleines Büro, weil ich seit 15 Jahren regelmäßig Homeoffice mache.

Fühlt sich das für Sie jetzt trotzdem anders an?
Ja, schon, obwohl ich Routine darin habe und wichtige Regeln zum Homeoffice beachte.

Was sind denn die größten Fehler?
Das sind weniger ergonomische Fragen wie der richtige Blickwinkel zum Monitor. Die klassische Todsünde ist: Man lässt sich in den Computer reinsaugen, denn kein Kollege kommt vorbei, man muss nicht zum Drucker. Man denkt: Ich erledige noch schnell das, antworte eben auf diese Mail – und eh man sich versieht, hat man mehrere Stunden ohne Pause gearbeitet.

Aber wenn ich doch gerade so gut dabei bin ...
Falsch! Man muss Pause machen, bevor man müde wird. Sonst ist das fatal für den Kopf. Nach 90 Minuten sollten Sie etwas tun, was keine Konzentration erfordert. Also nicht die WhatsApp checken oder die neuen Online-Nachrichten zu Corona lesen. Besser ist: den Arbeitsplatz verlassen – recken, strecken, hüpfen. Oder gießen Sie die Blumen, schauen Sie der Kaffeemaschine beim Kochen zu ... Solche kurzen Pausen sollten Sie gut über den ganzen Tag verteilen.

Aber mein Brötchen darf ich schon beim Arbeiten essen?
Besser nicht! Und das sage ich nicht wegen der Krümel in der Tastatur. Man sollte feste Strukturen schaffen; dazu gehört, die Arbeitszeiten und Essenspausen festzulegen. Gerade weil man in der Wohnung „gefangen“ ist, braucht man Licht und einen Tapetenwechsel, der die Sinne anspricht. Gehen Sie raus, am besten in die Natur, mittags und vor allem nach der Arbeit. Das Kontaktverbot erlaubt das ja.

Und lassen Sie sich nicht verleiten, um 20 Uhr neu mit dem Job zu starten, auch wenn es andere tun. Es entsteht schnell ein Gruppendruck. Vor dem regelmäßigen Arbeiten spät abends möchte ich unbedingt warnen. In vielen Studien ist nachgewiesen, wie schädlich das für unseren Körper ist. Das fängt bei Schlafstörungen an und kann bis hin zu Depressionen gehen.
Homeoffice ist eine Herausforderung, für Familien mit Kindern ist sie eine Doppelbelastung.

Wie meinen Sie das?
Gestresste Eltern im Homeoffice bedeutet Stress für alle daheim. Wer Kinder hat, muss die Arbeitsstrukturen anpassen an die der Familie. Eltern sollten sich absprechen, in Blöcken zu arbeiten, und sich aufteilen. Wenn mein Partner sich um die Kinder kümmert, kann ich konzentriert arbeiten.

Dem Ausnahmezustand durch Corona sollte man versuchen, etwas Positives abzugewinnen. Frühstücken Sie zusammen, kochen Sie gemeinsam, machen Sie ein Bewegungsspiel, gehen Sie eine Runde durch den Wald ... Es ist natürlich eine Kunst, das zu tun, wenn der Schreibtisch voll ist. Das Abschalten ist aber wichtig, damit Körper und Geist sich erholen.

Und wenn der Arbeitstag geschafft und das Kind im Bett ist, setzen Sie sich nicht erneut an den Rechner. Wer Probleme hat, Kinderbetreuung und Job zu vereinbaren, sollte das ansprechen. In Zeiten von Corona sind Arbeitgeber und Vorgesetzte besonders gefordert.

Was heißt Homeoffice für Menschen, die alleine leben?
Sie sollten bewusst Kommunikation herstellen. Mit den Kolleg*innen telefonieren statt mailen, sich überlegen, mit wem man mal nett quatschen könnte. Die derzeitige Situation löst Ängste aus, und darüber und über anderes zu sprechen – auch zu lachen – entspannt.
Es ist übrigens Unsinn zu denken, ich muss die Zeit nacharbeiten, die ich zum Smalltalk oder auch zum Wäscheaufhängen gebraucht habe. Mit dem Plausch auf dem Büroflur machen wir das ja auch nicht.

Haben Sie noch besondere Tipps für Studierende?
Das was für uns alle gilt: Arbeitspakete vornehmen und in kleine Einheiten teilen, regelmäßig Pausen machen; sich bewegen – der Hochschulsport macht ja gerade schöne Online-Angebote. Acht  Stunden lernen funktioniert nicht; die sozialen Kontakte aufrechterhalten. Mit seiner Lerngruppe kann man sich via Skype oder Videokonferenz treffen – höchstens eine Stunde –, und es sollten nur die wirklich kritischen Dinge diskutiert werden.

Nach drei Wochen, vier Wochen – wann kommt der Koller?
Dauerhomeoffice ist grundsätzlich nicht gesund. Wenn man versucht, mehrere Dinge nebeneinander gleich gut hinzukriegen, kommt der Koller schnell. Der derzeitige Ausnahmezustand heißt ja nicht, dass alle normal weitermachen. Durch die Veränderungen hat man freie Zeit, die sollte man mit netten Sachen füllen, sich sozial nicht isolieren und auch nicht permanent nach Corona-News schauen.

Worauf freuen Sie sich schon jetzt?
Da gibt es einiges: auf Kabarettbesuche, aufs Klettern und auch aufs Joggen. Ich bin blind und jogge normalerweise mit meiner Nachbarin. Das Band, das uns verbindet, hat leider nicht den geforderten Abstand.

Zur Person:
Dr. Anja Gerlmaier ist Arbeitspsychologin am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni. Die 48-Jährige ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder.

 

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