Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen

Neuerscheinung

Wikipedias Ahnen

[12.01.2012] „Wahres Wissen ist Wissen, das auf die Ursachen zurückgeht“, erkannte bereits der Philosoph Sir Francis Bacon. Dafür sind Nachschlagewerke bzw. Datenbanken nach wie vor unverzichtbar. Wörterbücher und Enzyklopädien gelten als Meilensteine der europäischen Kulturgeschichte. Ihre Entwicklung beleuchtet das Handbuch „Große Lexika und Wörterbücher Europas“, das Prof. Dr. Ulrike Haß von der Universität Duisburg-Essen (UDE) herausgegeben hat.

Obwohl es diese Bände in vielen Sprachen gibt, bilden sie ein gesamteuropäisches Netz, das die Grenzen einzelner Kulturen immer schon überschritten hat. „So entstand bei allen Unterschieden ein großer gemeinsamer Wissensschatz, ohne den es die überbordende Informationsfülle des Internets nicht gäbe“, stellt die Germanistin fest. Erstmals sei es nun möglich, Europa als Wissensraum zu begreifen und in seinen wichtigsten Nachschlagewerken weiter zu erforschen.

Historische Meilensteine wie der Duden oder das Oxford English Dictionary werden neben weiteren Publikationen aus England, Frankreich, Deutschland, Spanien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und der Ukraine vorgestellt. Die Epochen der Aufklärung und der Nationalismen des 19. Jahrhunderts werden ebenso ausführlich behandelt wie die Folgen der politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Schließlich geht es darum, wie das digitale Zeitalter den Umgang mit Wissen beeinflusst: Der Kreis schließt sich mit einem Artikel über Wikipedia.

Das Handbuch deckt Kurioses auf. Der Leser erfährt, dass eine Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz, die im 18. Jahrhundert die Ungelehrten aufklären sollte, sogar Detailansichten von Hühnerställen enthält. Ihre artgerechte Bauweise war auch im Brockhaus der 1890er Jahre noch ein Thema. Vom innigen Verhältnis der Brüder Grimm zur Sprache erzählt ein anderer Bericht. Hinter den Schriften standen oft gigantische Wirtschaftsunternehmen mit zunächst hohen Investitionen und – im glücklichen Fall – jahrhundertelangem Umsatz, von dem die Autoren allerdings nur einen Bruchteil erhielten.

Lexika haben zudem mehr mit Macht und Politik zu tun, als man meint. „Die Autoren der französischen Aufklärung mussten zeitweilig im Untergrund arbeiten und fanden doch Mittel und Wege, die Zensur auszutricksen. Im früheren Sowjetreich hatten nichtrussische Lexika kaum eine Chance und ihre Inhalte mussten ideologisch konform gehen“, beschreibt Haß einige Beispiele. „Deshalb wurden manche im Exil verfasst, z.B. ukrainische. Nach dem Ende der Sowjetära war dies geradezu ein Symbol der neuen nationalen Unabhängigkeit.“ Und die DDR hatte gar ein eigenes Wörterbuch, das die Existenz einer sozialistischen Spielart der deutschen Sprache beweisen sollte.

Die Neuerscheinung liefert praktische Zugänge zum Informationspotenzial bedeutender europäischer Veröffentlichungen, von denen die meisten inzwischen digital vorliegen. „Das erleichtert ihre Benutzung – aber nur technisch. Erst wenn man die Geschichte hinter dem Lexikon kennt, fangen die Informationen an zu sprechen“, so Ulrike Haß.

Ulrike Haß (Hrsg.): Große Lexika und Wörterbücher Europas. Europäische Enzyklopädien und Wörterbücher in historischen Porträts, Gruyter-Verlag, 2011, 533 Seiten.

Weitere Informationen: Prof. Dr. Ulrike Haß, Tel. 0201/183-2795, ulrike.hass@uni-due.de

Redaktion: Katrin Koster, Tel. 0203/379-1488

Alle Pressemitteilungen der UDE finden Sie unter:
http://www.uni-due.de/de/presse/pm.php