Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen

Künftig wirksamere Tumormedikamente möglich

Kunststoffe gezielt verändern

[14.06.2011] Wie man Kunststoff mit veränderbaren Eigenschaften herstellt, die in Zukunft vielleicht sogar gezielt Medikamente zu bestimmten Körperstellen transportieren können, hat Prof. Dr. Carsten Schmuck, Wissenschaftler vom Center for Nanointegration der Universität Duisburg-Essen (CeNIDE), entdeckt. Der Experte für supramolekulare Chemie hat erstmals ein Polymer entwickelt, der sich über zwei verschiedene äußere Reize gezielt in seinen Eigenschaften verändern lässt und das beliebig oft wiederholbar. Seine Ergebnisse publiziert er in der kommenden Ausgabe des renommierten „Journal of the American Chemical Society“ (Jahrgang 133, Ausgabe 23).

Die Polymere, wie sie in Plastikflaschen und Textilien verarbeitet werden, haben nach ihrer Herstellung feste, nicht veränderbare Eigenschaften. Das liegt an den sehr festen Bindungen, die die Bausteine dieser Polymere zusammenhalten. Weniger fest sind dagegen die sogenannten nicht-kovalente Bindungen, die sich relativ leicht durch äußere Reize beeinflussen lassen. Genau die nutzt das Team um Carsten Schmuck nun, um ein lineares, langgestrecktes Polymer aufzubauen. Die äußeren Reize sind der pH-Wert der Umgebung sowie die An- oder Abwesenheit von elektrisch geladenen Metallatomen, Metall-Ionen.

Das kann man sich nun so vorstellen: In einer Flüssigkeit schwimmen einzelne Moleküle. Werden besagte Metall-Ionen hinzugefügt, passen sie wie eine Kugel (Metall-Ion) in eine halbkugelförmige Schale (Molekül), sodass sich nun immer zwei Moleküle mit einem Metall-Ion in ihrer Mitte zusammenlagern. Ist die Flüssigkeit zudem vom pH-Wert her neutral, lagern sich diese Molekülzwillinge zusammen als wären sie magnetisch und bilden lange Ketten. Das Polymer ist fertig.

Alltagstauglich: Zweifach schaltbarer Kunststoff

Mehrere dieser Polymerketten lagern sich anschließend zu einem Knäuel zusammen und bilden damit das erste alltagstaugliche, zweifach schaltbare Polymer. Und das ist neu: Bisher waren dazu nämlich sehr spezielle Laborbedingungen erforderlich, und es durfte kein Wasser dabei sein. Daher eigneten sie sich auch eher schlecht für den praktischen Einsatz. Anders die Entdeckung von UDE-Professor Schmuck. Das lineare Polymer bildet sich nämlich auch in Wasser. Mehr noch: Da sich das Polymer nur dann bildet, wenn beide äußere Reize exakt eingestellt sind, kann man die Materialeigenschaften sehr gezielt steuern.

Ein mögliches Einsatzgebiet dieser Grundlagenforschung könnte die Medizin sein, etwa die „target controlled drug delivery“, eine vom Zielgebiet ausgelöste Medikamentenfreisetzung. Im gut verträglichen Polymerknäuel könnte zum Beispiel ein Medikament gegen bestimmte Tumorzellen deponiert werden. Ein Tumor zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass seine Blutgefäße recht löchrig sind und er saurer ist als das ihn umgebende gesunde Gewebe.

Mögliche Anwendung: Neue Krebsmedikamente

Durch ein solches Loch in der Gefäßwand gelangt das Polymerknäuel in den Tumor. Der niedrige pH-Wert in dessen Inneren lässt das Knäuel zerfallen, sodass das Medikament freigesetzt wird; genau an der richtigen Stelle und ohne gesundes Gewebe zu beeinflussen. „Diese Anwendungsmöglichkeit ist natürlich noch Zukunftsmusik“, erläutert Schmuck, „aber wir haben die ersten wichtigen Schritte getan.“ Für den Einsatz im menschlichen Körper würde man auch nicht mit Metall-Ionen arbeiten, sondern beispielsweise Temperaturunterschiede nutzen, um die Bildung des Polymers zu steuern, aber das Prinzip ist dasselbe.

Insgesamt vier Jahre hat das Team um Schmuck an dem Thema gearbeitet. Doch nach dem Ziel ist vor dem Ziel: Nun streben die Forscher die Konstruktion dreifach schaltbarer Polymere an. „Aber auch an dem bisherigen Konstrukt werden wir weiterarbeiten“, berichtet Schmuck. „Momentan bilden die Polymerketten noch ungeordnete Bündel, aber wir wollen sie in Zukunft dazu bringen, sich in geordneten, dreidimensionalen Netzstrukturen anzuordnen.“

J. Am. Chem. Soc., 2011, 133 (23), pp 8961–8971
DOI: 10.1021/ja200941a

Redaktion und weitere Informationen:
Birte Vierjahn, Center for Nanointegration Duisburg-Essen (CeNIDE), Tel. 0203/379-1456, birte.vierjahn@uni-due.de, www.cenide.de

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