Projektskizze Gemeinschaft bewahren in ungewisser Zukunft – Turner und Burschen im frühen 19. Jahrhundert.

Die Zäsur von 1806 führte innerhalb der deutschen Einzelstaaten zu grundlegenden Veränderungen. Mit der französischen Besetzung veränderte sich die soziale Ordnung und traditionelle Verbindlichkeiten wurden aufgehoben: die Zukunft schien in höchstem Maße ungewiss. Um dieser Unsicherheit praktisch entgegenzuwirken, entwickelten sich neue Formen von Gemeinschaft, sie sich als zukunftsfest erweisen sollten. Das Projekt konzentriert sich auf zwei dieser Lösungsansätze aus den Jahren 1810-1819.

Mit den Turnern in Berlin, um ihren Initiator Friedrich Ludwig Jahn, und der Jenaer Urburschenschaft etablierten sich neue Formen der Vergemeinschaftung, die ihren Mitgliedern die Möglichkeit boten, sich auf der Basis fester organisatorischer Strukturen, verstetigter Handlungsmuster und eines klaren Identitätsangebots neu im sozialen Raum zu verorten. Jungen Menschen sollte eine Orientierung geboten werden – an die Stelle von Ungewissheit sollte Sicherheit treten. Gemeinschaftsbildung erscheint damit als eine Strategie zur Kontingenzbewältigung.

Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen dabei Einzelanalysen zur Alltagskultur beider Bewegungen. Es soll erstmals herausgearbeitet werden, welche konkreten Praktiken sich innerhalb der Gemeinschaft der Berliner Turner und der Jenaer Urburschenschaft etablierten, wie deren Bedeutung begründet wurde, welche Funktion sie besaßen und wo ihr Ursprung lag. Emotionen bildeten dabei das überwölbende Moment, um verschiedenen Praktiken und Ritualen eine höhere Bedeutung, einen tieferen Sinn zu geben. Im Projekt geht es jedoch nicht um Gefühle als „Erlebniswirklichkeit“, sondern um deren Rolle, Funktion und Stellenwert innerhalb einer Gemeinschaft. Aufgabe der Dissertation wird es sein, das „making of emotions“ herauszuarbeiten. Turner und Burschen boten ihren Mitgliedern einen klar definierten Rollen- und Identitätsentwurf, der auf dem „Deutsch-Sein“ gründete. Als eine Art „Doing German“ trugen die Praktik des Turnens, die Kleidung, das gemeinsame Singen, eine ausgeprägte Frömmigkeit und das Feiern von Festen zur Erschaffung einer neuen Identität des „deutschen Mannes“ bei. Im Sinne Bourdieus formierte sich ein „deutscher Habitus“, zu dem „doings“,  „sayings“ und „feelings“ gehörten. Das Projekt wird sich vor diesem Hintergrund auch mit der Ambivalenz einer solchen emotionsgestützten Form der Vergemeinschaftung beschäftigen und fragen, welche Gefahren sich aus einer solchen „Kultur der Gefühle“ ergaben.

Curriculum Vitae Lebenslauf

  • 2000 Beginn des (Magister-) Studiums der Neueren und Neuesten Geschichte, Deutschen Philologie I+II (Sprach- und Literaturwissenschaften) sowie der Angewandten Kulturwissenschaften – Kultur, Kommunikation und Management an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
  • 2005 Geburt des 1. Kindes
  • 2007 Geburt des 2. Kindes
  • Juli 2010 Magister Artium, Abschlussarbeit: „Vorgeschichte und Entwicklung der Jenaer Urburschenschaft bis zum Wartburgfest“, Betreuer: Prof. Dr. Frank Becker
  • ab September 2010 Doktorandin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Doktorvater: Prof. Frank Becker); Hauptfach: Neuere und Neueste Geschichte, Nebenfach: Deutsche Philologie, Dissertationsthema: „Empfundene Nation. Die Kultur der Gefühle in der frühen deutschen Nationalbewegung am Beispiel der Berliner Turner und der Jenaer Urburschenschaft“
  • April 2011 Geburt des 3. Kindes
  • seit November 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Graduiertenkolleg „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ am Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen (Betreuer: Prof. Becker, Prof. Brakensiek und Prof. Klaus Ries, Universität Jena)  
  • Oktober 2015 - Dezember 2017 Elternzeit für das 4. Kind
  • seit April 2018 bis voraussichtlich April 2021 Elternzeit für das 5. Kind

Studentische/Wissenschaftliche Hilfstätigkeiten

  • Juli 2003 - September 2005 Studentische Hilfskraft am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Abteilung Sprachwissenschaft, Bibliothek)
  • April 2004 – September 2005 Studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Frank Becker (Neuere und Neueste Geschichte) an der Universität Münster, u.a. im DFG-Projekt: „Zwischen Radikalnationalismus und Menschheitspathos. Katholiken, Protestanten und die Bewertung der kolonisierten Völker im Deutschen Kaiserreich (1884-1914/18)“ sowie im Anschluss daran im Projekt: „Leben und Werk Carl Diems“ (in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sportwissenschaft)  

Veröffentlichungen

  • Studenten im Aufbruch – Die Entstehung der Jenaer Urburschenschaft und das Wartburgfest als mediale Inszenierung, in: Lönnecker, Harald (Hg.): „Deutschland immer gedient zu haben ist unser höchstes Lob!“ Zweihundert Jahre Deutsche Burschenschaften. Eine Festschrift zur 200. Wiederkehr des Gründungstages der Burschenschaft am 12. Juni 1815 in Jena (Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 2), Heidelberg 2015, S. 1-78.

  • Turnen, Nation, Gesang und Gefühl – Das neue Konzept von Gemeinschaft bei den Berliner Turnern (1811-1820), in: Jahn Report, 41. Ausgabe, Dezember 2015, S. 21-26, online

  • "Empfundene Nation" - Das neue Konzept von Gemeinschaft bei den Berliner Turnern (1811-1820), in: Becker, Christian, Wedemeyer-Kolwe, Angelika Wolters (Hg.): Geschichte des Turnens in Norddeutschland (Schriftreihe des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte Hoya e.V. (NISH), Bd. 25.), Berlin 2017, S. 11-25.

  • "Aus Liebe zum Vaterland - Wandern in der frühen Turnbewegung (1811-1820)", in: Selheim, C.; Kammel, F.M.; Brehm, T. (Hg.), Wanderland. Eine Reise durch die Geschichte des Wanderns. Begleitband zur Ausstellung vom 29.11.2018 bis 28.4.2019 im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, S. 126-133. Rezension des Katalogs und der Ausstellung online

Vorträge

  • Vorstellung der Magisterarbeit - Doktorandenkolloquium der Friedrich-Schiller-Universität Jena, November 2010
  • „Studenten im Aufbruch. Die Entstehung der Jenaer Urburschenschaft und das Wartburgfest als mediale Inszenierung“ - Jahrestagung der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e.V., Eisenach, Juni 2011
  • „Konflikt versus Harmonie? Ein Vergleich der studentischen Lebenswelt um 1770 mit der Zeit der Burschenschaft (1815–1819) an der Universität Jena“ - summer school im DHI Paris: „Akademische Freiheit oder akademische Frechheit?“, Juni 2014
  • "Bewegung, Nation, Gesang und Gefühl -  Das neue Konzept von Gemeinschaft bei den Berliner Turnern (1811-1820)“, Doktorandenkolloquium im Institut für Sportwissenschaften Westfälische Wilhelms-Universität Münster, April 2015
  • "Zukunftshandeln bei Turnern und Burschen (1811-1820)", im Oberseminar der Friedrich Schiller Universität Jena, Mai 2015
  • „Empfundene Nation – National-patriotische Lieder als Ausdruck einer neuen Identität bei Turnern und Burschen im frühen 19. Jahrhundert“, Workshop am Max-Planck Institut für Bildungsforschung Berlin, Titel: Emotionsgeschichte und Musik: Forschungsperspektiven und Methoden (Max-Planck-Forschungsgruppe "Gefühlte Gemeinschaften? Emotionen im Musikleben Europas") , September 2015, Tagungsbericht unter: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-627
  • „Vom Zeitalter der antinapoleonischen Kriege bis zur Reichsgründung – Turnen und Turner an Rhein und Ruhr“, Vortrag und Workshopleitung gemeinsam mit Dr. Josef Ulfkotte, Duisburg, Lehrerfortbildung, Thema „Vom Alten Reich zum Norddeutschen Bund – Das Beispiel Niederrhein/Ruhr“, Februar 2016
  • „Empfundene Nation“ - Das neues Konzept von Gemeinschaft bei den Berliner Turnern (1811-1820), Wissenschaftliche Tagung des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte e.V. (NISH) in Kooperation mit dem Niedersächsischen Turner-Bund (NTB) in Göttingen, Juni 2016
  • "Nation, Gesang und Gefühl: Lieder als Mittel kollektiver Mobilisierung bei Turnern und Burschen (1811-1820)", Doktorandenkolloquium des Musikwissenschaftlichen Instituts Köln (Prof. Frank Hentschel), Juli 2017
  • "Nation, Gesang und Gefühl: Identitätsstiftende Praktiken bei den Berliner Turnern (1811-1820)", Tagung: Neue Forschung zur Kulturgeschichte des Sports,Jahrestagung der DVS-Sektion Sportgeschichte in Bochum, September 2017
  • "Das Wartburgfest als mediale Inszenierung", 77.deutsche Studentenhistorikertagung in Halle an der Saale, Oktober 2017
  • "Die Wartburgfestlieder", Wartburgfest 2017; Symposium der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung in Eisenach, Oktober 2017
  • "Bewegung, Nation, Gesang und Gefühl: Das Gemeinschaftskonzept der frühen Turnbewegung“, Jahn-Symposium im Rahmen der Turn-WM in Stuttgart. Thema der Tagung: Zum zeitgenössischen Umgang mit Friedrich Ludwig Jahn in der deutschen Turn- und Sportbewegung, Oktober 2019

 

 

Email-Adresse

Frau Angela Heinemann ist weiterhin unter der Emailadresse angela.heinemann@uni-due.de erreichbar.

Projektposter

Das von Frau Heinemann für die DFG-Begutachtung des Graduiertenkollegs im September 2017 erstellte Poster zu ihrem Projekt können Sie hier in höherer Auflösung abrufen.

Betreuende Forscher

1. Betreuer:

Prof. Dr. Frank Becker

2. Betreuer:

Prof. Dr. Stefan Brakensiek